5.3. Beschreibung der Bekleidung und der Attribute

Homer und die neun Musen, als ganzfigurige Darstellung, werden durch Namensbeischriften über deren Abbildungen in der lateinischen capitalis monumentalis, also einer schlanken Majuskelschrift, benannt und sind so leicht zu identifizieren. Homers Nennung wird durch zwei kleine Kreuze, die jeweils an den beiden Enden hinzugefügt sind, prominent hervorgehoben.

Bei der Interpretation der Bekleidung beziehungsweise der Gewänder der Dargestellten ist Vorsicht geboten. Inwiefern der Künstler beim Entwurf der Charaktere auf eine realistische Darstellung Wert legte, aus kompositorischen und verlegetechnischen Gründen die Kleidung vereinfacht oder Details erst gar nicht darstellte, kann nicht belegt werden. Ebenso unterliegt die Imitation griechischer Bekleidung aus einer Epoche, welche bereits 700 Jahre zurücklag, deutlichen Abweichungen vom Original. Dies ist unter anderem auf die dominierende, römisch geprägte Kultur zurückzuführen, welche nicht nur die Bekleidung, sondern auch Darstellungsart, Attribute und Anzahl der Musen transformierte. Die römische Stoffverarbeitung im 3. Jahrhundert ist klar von der griechisch klassischen im 5. Jahrhundert v. Chr. - oder der Zeit Homers im 8. Jahrhundert v. Chr. - zu unterscheiden. Wenn man so will, sind die griechischen Webstücke der Dargestellten mit Theaterrequisiten vergleichbar, die durch zeitgenössische römische Augen gesehen und interpretiert wurden.

HOMERVS und CALLIOPE, Feld XV

Das zentrale Bildfeld wird von zwei figürlichen Darstellungen, Homer und Kalliope, ausgefüllt. Der mit Blattwerk gekrönte Dichter Homer, nachdenklich nach links blickend, hebt selbstbewusst die rechte Hand zu einer Redegeste an die Muse Kalliope gewandt. Die entgegnet leicht nach vorne geneigt mit einer demütigen darreichenden Geste (siehe Abb. 187).

Rechts sitzt ein gebräunter Mann in besten Jahren auf einem breiten Sessel mit ausladender runder Rückenlehne, einer cathedrae, dem heutigen Bischofsstuhl. Teile des thronartigen Sitzmöbels sind gedrechselt, mit Intarsien verziert und mit einem roten Kissen gepolstert. Bekleidet ist der sandalentragende Homer mit einem rechteckigen Obergewand aus gelblichem Mantelstoff, das locker und in Falten über die linke Schulter auf die Oberschenkel fällt und bis zu den Waden herabhängt. Allein schon durch das gelbe Webstück hebt sich Homer optisch vom Hintergrund ab. Die Webware erinnert an griechische Philosophenmäntel. Ein großer Teil des Unterkleides bleibt bedeckt. Das weiße kurzärmelige Hemd, eine Tunika - mit blauen Steinen die Falten dezent und gekonnt modelliert - verhüllt die rechte Körperhälfte und endet knapp über den Knöcheln. Die Halbglatze ist eher mit einem Blatt- als Lorbeerkranz geschmückt. Selbstbewusst ist der Blick dem Betrachter zugewandt und die Gesten der beiden Hände signalisieren Aufnahmebereitschaft und Selbstkontrolle. Auf Hüfthöhe umfasst die linke Hand eine Schrift-, beziehungsweise Papyrusrolle, während die rechte, leicht angehoben und ausgestreckt, mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger auf Kalliope verweist und Homer als Redner identifiziert. Die Farbübergänge und der Faltenwurf sind virtuos gemeistert und erzeugen einen lebendigen und plastischen Eindruck der Szenerie. Die realistische Auffassung und lebendige Charakterisierung zeugen von einer künstlerischen Raffinesse, die erst wieder in der Renaissance erreicht wurde.

Kalliope sitzt in der Darstellung rechts auf einem kastenartigen Sitzmöbel, einem Hocker, in ein durchsichtiges, ärmelloses und überlanges Untergewand, dem dorischen (5. Jahrhundert v. Chr.) peplos oder chiton1, gehüllt, welches die rechte Schulter unbedeckt lässt und dem Arm die nötige Bewegungsfreiheit gewährt (siehe Abb. 187). Unterhalb der Brust wird das weiße, unmittelbar auf dem Körper getragene Untergewand durch das darüber liegende rotbraune Webstück fest um den Brustkörper geschnürt und tailliert. Mittig, unterhalb der Brust - eine Taillengürtung ist angedeutet - verläuft ein Band jeweils bogenförmig zum Körperrand hin. Auf der rechten Körperseite tunnelt das Band das Obergewand und endet mit einem Zipfel hinter dem Körper. Entweder wird eine rückseitige Schlaufe angedeutet oder das Untergewand ist beidseitig unter einem Gürtel eingeklemmt und gerafft. Auf der linken bloßen Schulter, neben dem weißen Wickelgewand, ist ein roter Knoten erkennbar, der allem Anschein nach das zweite, braun-rote Untergewand zusammenhält, wobei vorne keine Verbindung zur Schulter besteht. Desweiteren ist denkbar, dass das weiße Untergewand mit Hilfe einer Gewandbrosche (lat. fibula) zusammengehalten wird. Aufgrund der seitlichen Position der Raffung ist dies jedoch eher unwahrscheinlich. Die dritte Möglichkeit der Befestigung, zeigt uns der ansatzlos auf der rechten Schulter auftauchende lange Rechteckmantel. Im Gegensatz zu Homer ist Kalliope in ein überlanges Kleid, dem himation, gewickelt2. Auf den ersten Blick scheint dieses nur am Rücken an der linken Schulter befestigt. Der weiße Stoff fällt mit weitem Schwung und vielfältig gefaltet diagonal über die Brust, dann seitlich am Rücken entlang von rechts und hinter der linken Schulter über den linken Unterarm um sich auf dem Schoß zu verbinden. Ob der verschwenderisch eingesetzte Webstoff von hier aus üppig auf den Boden, eine Schuhspitze frei lassend, fällt oder der braun-rote chiton im Bereich des Fußes unter dem himation hervorlugt, ist nicht klar erkennbar. Sichtbar sind jedoch die Falten- beziehungsweise Ornamentmuster im Bereich des Saumes, die an die Zahnschnittrahmenleiste des Mosaiks erinnert. Die dünnen Stoffbahnen der farbigen Webware sind so zusammengefügt, dass diese auch ein Mäanderband darstellen könnten, welches den Ursprung des dünnen Gewandes aus Griechenland ableiten soll. Das aufgelöste Haar verteilt sich lockig auf der rechten Schulter, der mit einer Federkrone und Blätterkranz gekennzeichneten Muse. Vor den Füßen der beiden steht ein runder gefüllter Lederkorb, den Deckel angelehnt und mit 14 Schriftrollen nahezu vollständig gefüllt. Vielleicht mit den Texten Homers? Mit vertrauter Geste deutet Kalliope auf die linke Hand Homers mit der 15. Schriftrolle, selbst in der linken die 16. haltend. Elegant windet sich die Schatten- beziehungsweise Standlinie um den roten Korb beiden Gestalten zu und setzt einen illusionistischen Akzent in der angedeuteten räumlichen Tiefe.

Expand Expand Abb. 187
Zentralmedaillon mit den sitzenden Hauptfiguren: Homer, der griechische Dichter und Kalliope, die „Schutzgöttin“ der Künste, erscheinen als vertraute Einheit, Feld XV (Quelle: Christof Weber, 2002)

POLYMNIA und VRANIA, Feld XI

Polyhymnia erscheint uns mit der gleichen Geste, die auch Homer kennzeichnet: die rechte gehobene Hand mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger am ausgestreckten gebeugten Arm, während der linke Arm, am Körper anliegend, die eine Schriftrolle umfasst (siehe Abb. 188). Die Stellung im klassischen Kontrapost - Spannung oder Ruhe erzeugend mit dem Stand- und Spielbein, die Hüfte verschoben - verleiht der Muse Dynamik und Anmut. Im Gegensatz zu Kalliope trägt Polyhymnia ein dreiteiliges Gewand, welches der linke Arm anhebt und rafft. Rotbrauner, ärmelloser, ionischer chiton, an den Schultern geknotet, fällt flüssig und faltig vertikal in Überlänge bis zu den gelben Lederschuhen herab. Der Faltenwurf im Brustbereich deutet ein Gürtel unterhalb der Brust an. Im Bereich zwischen Brustkorb und Hüfte umschlingt ein zweiter chiton, durchsichtig oder hautfarben, „schürzengleich“ den Körper. Dieser wird, wie bei Kalliope, auf der linken Schulter geknotet. Ohne Knoten wird der weißblaue Mantel, der himation, einmal um den Oberkörper über die Schulter gewickelt, ein Ende über den linken Arm gelegt, während das andere aus der Schlaufe herabhängt. Der rechte Arm bleibt unbedeckt und bewegungsfrei. Braune Haarlocken auf den Schultern sind nicht klar von den Gewandknoten zu unterscheiden. Dürftige Falten imitieren das schwere Manteltuch. Selbstredend zieren eine Federkrone und Blätterkranz am gelben Band den Kopf.

Auf einem Kastenmöbel begegnet uns Urania3 und zeigt mit einem schwarzen Stab, wahrscheinlich nubisches Ebenholz, auf die Sphäre mit den Planetenbahnen (siehe Abb. 188). Die geschwungenen Beine des Gestells auf dem die Sphäre ruht, erinnern an den Speisetisch im triclinium, der dreibeinigen mensa. Das Sitzmöbel ist wahrscheinlich aus Holz gefertigt, da kein Flechtwerk erkennbar ist. Uranias Blick schweift wie der Polyhymnias ausdrucklos nach rechts in die Ferne. Unter der Federkrone und dem Blätterkranz, gehalten durch ein mehrfarbiges Band, quillt das schwarze Haupthaar und liegt in Locken auf den Schultern. Eine vertikale goldene Borte ziert den, an den Schultern geknoteten, weißen ionischen chiton. Schachbrettartig gemustert, endet diese vertikal unter dem quer auf den Oberschenkeln liegenden Mantel. Während der feine Stoff gegürtet am Oberkörper anliegt, wirft er viele Falten auf der Höhe der Beine und lässt die rechte gelbe Schuhspitze frei. Auch hier ist, wie bei Kalliope, der untere Stoffteil mit gelben Linien verziert. Die vertikalen Linien ergeben jedoch kein Muster. Raffiniert umfließt das weite, rotbraune Wickelgewand die linke Schulter und lässt den rechten, aktiven Arm bewegungsfrei. Es liegt teils gerafft auf den Oberschenkeln, verdeckt die rechte Sitzhälfte und endet in Falten auf dem Boden. Über dem linken Arm, der eine Schriftrolle hält, hängt der rotbraune Stoff leicht herab. Abgespreizt liegt der Zeigefinger seitlich auf der Rolle.

Expand Expand Abb. 188
Die Musen Polyhymnia und Urania, Feld XI (Quelle: Christof Weber, 2002)

Beiden Musen verleihen die geschwungenen Schattenlinien, die genau parallel zu den Umrissen der Figuren verlaufen, räumliche Tiefe und Standfestigkeit. Sogar das Dreibein der Sphäre - Tierbeine mit Klauen imitierend - wurde nicht vergessen und bekam einen eigenen Schatten. Im Gegensatz zu den restlichen drei Musenpaaren, schauen Polyhymnia und Urania in gleicher Richtung über die rechte Schulter hinweg in die auf gleicher Augenhöhe liegende Ecke.

CLIO und EVTERPE, Feld XVI

Wie Urania verweilt Klio auf einem breiten rechteckigen Hocker und geht ihrer Tätigkeit als Geschichtsschreiberin nach, indem sie im Begriff ist, die noch leere, aufgerollte Schriftrolle zu füllen (siehe Abb. 189). Der abgesenkte rechte Arm ruht über dem Tintengefäß und hält einen Schreibgriffel, den stilos. Bis zum Unterstellmöbel zieht sich die geschwungene Schriftrolle über die gesamte Komposition und verdeckt auf Kniehöhe den offenen gelben Mantel. Augenscheinlich ist das oben runde und unten eckige Möbel auf der Schauseite vertikal verziert. Weder ruht der Blick der Muse auf der Schriftrolle, noch auf dem Schreibgerät, sondern schweift ab und richtet sich gen Rand. Als Grund sei auf die fehlerhafte Drehung beim Setzen des emblema parallel zur Linie des Achtecks hingewiesen. So ist zum Beispiel die Figur der Muse Urania exakt nach den Ecken des Medaillons ausgerichtet. Klio ist in einen roten ionischen chiton gewandet, der über der Brust - die rückseitigen Bänder sind naturgemäß nicht abgebildet - mit überkreuzten Bändern, dem Maschalister, gehalten wird. So konnten im Schultergürtelbereich allzu große Bewegungen abgefangen und der Soff gebändigt werden. Die üppige braune Haarpracht verteilt sich gleichmäßig auf beiden Schultern und überlagert die Gewandknoten des rotbraunen Unterkleides. Auch der locker über die linke Schulter gelegte rechteckige Mantelstoff wird von den fallenden Locken berührt. Im Gegensatz zum Unterkleid ist der Faltenwurf des Mantels kontrastreicher angelegt. Beide kleinen Finger sind bei ihrer Tätigkeit, beim Halten der Schriftrolle und bei der Bewegung mit dem Schreibgriffel, vornehm abgespreizt. Die stark abgeschattete Federkrone scheint mit dem enganliegenden Blütenkranz und gelben Band eins zu sein. Auch hier verleiht die konturiert geschwungene Schattenlinie der Komposition Ruhe.

Euterpe, energisch mit Ausfallschritt, spiegelt die s-förmige Figurenform der Nachbarmuse (siehe Abb. 189). Ihr zweiteiliges Gewand erscheint uns gänzlich anders als die bis dahin bekannten. Von der Bewegung mitgenommen flattert dieses, bläht sich auf und enthüllt das ganze langärmlige Gewand. Der Mantel scheint doppellagig zu sein, wie an der seitlichen Schattierung und der parallel dazu verlaufenden gelben Steinreihe zu erkennen ist. Die beiden Stoffbahnen des gefütterten Mantels sind auf Kniehöhe beidseitig durch jeweils eine schwarze und eine rote Franse kenntlich gemacht. Außer dem gefalteten Saum, der zwei gelbe Schuhspitzen freilässt, schmiegt sich das Kleid mit angesetzten engen Röhrenärmeln eng am Körper an. Drei horizontale weiße Stoffbänder am Körper und vier, beziehungsweise fünf an den Armen, unterstreichen die Besonderheit der Kleidung. Das syrma, ehemals das Kleidungsstück der griechischen Tragödie, wird nun von der frohen Verkünderin des Genusses getragen. Die weißen Bänder am Körper sind mit einer schwarzen Steinreihe gesäumt, ebenso wie das auf der Brust angelegte Karomuster. Als Reminiszenz an die Webkostüme der vorklassischen Zeit (), tragen die drei Musen Euterpe, Erato und Melpomene das stark gemusterte Tuch. Das obere Band ermöglicht unterhalb der Brust eine zusätzliche Fixierung des Mantels, um ihn bei den schwungvollen Bewegungen zu halten. Eingebettet in die wilde Bewegung, sind auch die beiden Blasinstrumente, dem griechischen aulos. Es hat den Anschein, als sei die linke Hand im Begriff, ein Instrument zum Mund zu führen. Die langgezogene trichterförmige Doppelflöte mit jeweils vier Grifflöchern, die durch Stege unterteilt sind, ist aus schwarzen Steinen gesetzt, die eine Materialidentifizierung unmöglich machen. Der Kopf ist leicht links entgegen der Bewegungsrichtung geneigt und ermöglicht dadurch das Spielen der Instrumente im Tanz. Unterhalb der Federkrone und dem Blätterkranz liegen die dunklen Haarlocken ruhig auf den Schultern mit den Doppelknoten von Untergewand und Mantel. Die Augen, aufgeregt in die gegensätzliche Richtung blickend, bilden mit dem Rest des Körpers und der gradlinigen Schattenlinie eine dynamische Erscheinung.

Expand Expand Abb. 189
Die Musen Klio und Euterpe, Feld XV (Quelle: Christof Weber, 2002)

THALIA und MELPOMEN, Feld XIX

Thalia, im Kontrapost die Hüfte rechts verlagert, spreizt den Zeige- und Mittelfinger zur Rednergeste, wie wir es oben schon bei Homer und Polyhymnia gesehen haben (siehe Abb. 190). Auch geht der verhaltene Blick in die Ecke und nicht auf die, in der linken Hand gehaltene tragische Theatermaske. Augen und Mund der körpernah gehaltenen lebensgroßen Frauenmaske sind weit geöffnet. Sauber gescheitelt wird der Knoten der Frisur von einem gelben Band gehalten. Interessanterweise trägt auch die Muse einen Knoten im blonden Haar, welches in wenigen Locken auf die rechte Schulter fällt. Hervorzuheben ist der Blütenkranz unterhalb der Federkrone, von einem weißen Band gehalten. Gewandet ist die Stehende mit einem lose über die Schulter gelegten, um die Hüfte und um dem linken Arm gewickelten weiß-blauen Obergewand und einem ärmellosen ionischen chiton. Auf der rechten, freien Schulter wird der Gewandknoten zum Teil durch das blonde Lockenhaar verdeckt. Unterhalb der Brust geschnürt, quillt der überlange Stoff teils aus der Umgürtung heraus. Der vertikal verlaufende Zierstreifen, eine Goldborte nachahmend, hebt sich deutlich stärker hervor von dem weißen Untergewand ab, als dies bei Urania der Fall war. Der überlange und ansonsten faltenarme Stoff umspielt in großen Falten die gelben Schuhe. Aus Platzmangel konnte die Schattenlinie nicht die gewohnte Form einnehmen.

Bei Melpomene fallen gleich mehrere Unterschiede zu den bisher Abgebildeten auf (siehe Abb. 190). Mit der Muse Thalia teilt sie die körpernah auf Hüfthöhe gehaltene Theatermaske. Die Musen Klio und Erato eint mit Melpomene die fehlerhafte Zentrierung in der Diagonalen und die dadurch bedingte Beschneidung der Komposition, sowie der Blick oberhalb zur Ecke. Hervorzuheben ist die kostbar verzierte, andersartige Webware, enganliegend und die Kontur des Körpers bildend: ein gelbgrüner ovaler Umhang; darunter die überreich gemusterte weiße Robe und zuletzt die „Holzklotz-Schuhe“, der kothurn. Der rechte „Bühnenschuh“ hat entsprechend der Schattenwirkung, einen rechteckigen und der linke, etwas nach hinten versetzte, eher einen runden Grundriss. Gemeint ist jedoch ein Schaftstiefel mit hoher Sohle, der, wie die furchteinflößende Frauenmaske in der linken Hand, zur Ausstattung der Muse gehört. Weitgeöffnet sind Augen und Mund, und das ungepflegte Haar hängt in Strähnen herab. Man meint einen Bartansatz zu erkennen. Das mit Bändern und Musterstickereien übersäte enganliegende Untergewand sucht seinesgleichen im Reigen der Musen und steht im Kontrast zu der verstörend wirkenden Maske. Die Schattierung des ornamentierten Gewandes ist raffiniert gestaltet, sodass die meisterhaft ausgeführten Verzierungen mit Zinnen- oder Mäandermustern - ähnlich der Rahmung der Musenmedaillons - auch im engen roten Saum, goldfarben schimmern. Scheinbar wird der Horizontalen als Gestaltungslinie große Bedeutung beigemessen. „Auffallend ist in erster Linie, dass es sich um mehrere Kostümstücke handelt, die silhouettebildend wirken“ (). Horizontale Streifen an Körper und Armen, nun in Rot und nicht wie bei Euterpe in Weiß, wirken festlich und sorgen dafür, dass der Webstoff eng anliegt. Das quadratische Muster auf der Brust, ein Karo, gleich einem Negativ von Euterpes Gewand, wird durch ein goldenes Dreieck erweitert. Eine Reminiszenz an den Hüftponcho, der in der kretisch-minoischen Kultur vor 3600 Jahren Bestandteil festlicher Kleidung war. Ebenso verbinden mit Euterpe und Melpomene die horizontalen Gestaltungslinien, die die Kostüme der Musen dreiteilt. Ein überdeutliches gelbes Band, ob zur Federkrone gehörend, wegen der Art der Ausführung nicht erkennbar, verläuft parallel zur Stirn und lässt seitlich des Blütenkranzes etwas Platz. Lockig verteilt sich das braune Haar auf den Schultern und umschmeichelt die Halteknoten des Umhangs. Der Rednergestus des ausgestreckten Arms, gebeugt, mit gespreizten Fingern greift Homer und die Musen Polyhymnia und Thalia auf.

Expand Expand Abb. 190
Die Musen Thalia und Melpomene, Feld XIX (Quelle: Christof Weber, 2002)

TERPSICHORE und AERATO, Feld XIV

Terpsichore sitzt wie Kalliope, Urania und Klio bei ihrer Tätigkeit auf einem rechteckigen Sitzmöbel, vielleicht einer Truhenbank (siehe Abb. 191). Gehüllt ist sie in einen roten chiton und weiß-blauen himation. Das Untergewand wird unter der Brust gegürtet und fällt in breiter Bahn sowie vielen Falten über die Knie so zu Boden, dass die gelben Schuh hervorspitzen. Als einzige Muse ist bei Terpsichore unterhalb des rechten Knies das Gewand seitlich geöffnet. Einzigartig ist der eigenartige Gewandknoten auf der rechten Schulter - die linke wird durch den weiß-blauen Mantel verdeckt - der in langen Fäden herabhängt und schnurartig im Bogen über die Brust zur anderen Schulter führt. Locker fließt der Mantelstoff über Schulter und Rücken, umwickelt das Knie, um dann zwischen Muse und Saiteninstrument auf den Boden zu gleiten. Das gebogene viersaitige Instrument, eine Lyra4, erleichtert es der Muse, die ausgestreckte linke Hand spielbereit hinter dem Instrument an die Saiten anzulegen. Im Detail sind der obere Quersteg und der Saitenhalter mit Wirbelkasten zum Spannen der vier Saiten erkennbar. Das Instrument ruht auf dem Sitzmöbel. Trotz Verschmutzung ist die rechte Hand - der Zeigefinger steht griffbereit ab, ein plectrum haltend - eindeutig zu erkennen. Ein gelbes Band mit weißen Blüten und Blättern auf Höhe der Ohren unterteilt den braunen Haarschopf von der Federkrone. Mit schwarzen Steinen wird, wie oben schon bei der Muse Euterpe ausgeführt, die Umrisslinie der hohen Stirn gezeichnet. Die Namensbeischrift ist eigenartigerweise nicht durchgehend gesetzt: Zuerst die beiden Buchstaben TE, Lücke, dann RP, Lücke, dann S, Lücke, dann I, Lücke und abschließend CHORE.

Zum Schluss schaut Erato keck in die entgegengesetzte Richtung (siehe Abb. 191). Nicht nur den Blick, sondern auch die Kopfform mit dem pausbäckigen Gesicht und die Federkrone hat sie mit Euterpe gemeinsam. Allen Anschein nach eint die beiden Musen mit Melpomene das körperhafte Kostüm, was von einer einheitlichen Handschrift zeugt. Jedoch gilt dies nicht für die Kunstfertigkeit in der Herausarbeitung der Gesichtszüge, da es Melpomenes holzschnittartiges Gesicht an künstlerischer Qualität fehlt. Erato steht neben ihrem Instrument und ist im Begriff dieses zu spielen. Dass die Muse stehend spielen muss, ist der Größe der Kithara geschuldet. Ein Sockel verhilft dem Instrument zur nötigen Spielhöhe. Besonders detailliert ist die originalgetreue Wiedergabe der Saitenbefestigung am Quersteg und Wirbelkasten. Mit gelben Steinen sind zudem die gedrechselten Spitzen und der verbindende Quersteg vom Rest des Holzkörpers farblich deutlich abgegrenzt. Dass hier Elfenbein imitiert wurde, scheint wahrscheinlich. Auch deutet die Verzierung des Holzkorpus mit kleinen Einlegearbeiten, den Intarsien, auf den hohen Stellenwert des Instruments. Rechte Griffhand mit Plektrum und linke gespreizte hinter den Saiten sind identisch mit Terpsichores Darstellung. Das rotbraune, enganliegende Untergewand ist mit angedeuteten geometrischen Mustern überzogen und der Kostümmode der vorklassischen Zeit entlehnt. Hinsichtlich der Differenzierung in der Ornamentierung der bodenlangen Robe fehlt im Vergleich zur Melpomenes Gewand die klare horizontale Dreigliederung und der festliche Charakter. Ein gestülpter Saum lässt gelbe Schuhe halbbedeckt. Die Brust ziert ein Karomuster, gleich den genannten Musen. Weitere Verzierungen im Brustbereich und der Ärmel sind zweifarbig ringförmig gearbeitet und wurden schließlich durch einen breiten Gürtel, ausgearbeitet mit gelben Steinen, gehalten. Im Gegensatz zur Melpomene ist Erato klassisch mit einem Wickelgewand bekleidet, dessen Enden im Brustgürtel stecken. Federkrone, braunes gelocktes Haar bis zu den Schultern reichend und Blütenkranz sind gut getroffen. In die halbkreisförmige Öffnung des hölzernen Instrumentensockels, vermutlich extra für die Kithara hergestellt, schlängelt sich die leicht geschwungene grüne Schattenlinie.

Expand Expand Abb. 191
Die Musen Terpsichore und Erato, Feld XIV (Quelle: Christof Weber, 2002)

  1. . Kostümkundliche Interpretation. S. 18. „Peplos und Chiton, die Oberkleider der Griechen, zeigen sich in dieser Gestaltung mit dem Unterschied, dass das Webstück im Falle des Peplos an der rechten (Seite) offen bleibt und der Chiton mit einer Naht zur Röhre geschlossen wird.“ ↩︎

  2. . Kostümkundliche Interpretation. S. 20. „Als Überkleid wird bei Frauen und Männer das Himation, eine Stoffbahn in der Dimension ähnlich einem indischen Sari, gewickelt getragen. Die Grundwicklung eines Himation erfolgt unter Rücksichnahme darauf, dass die rechte Hand Aktionsfreiheit bekommt. Dieses Grundprinzip scheint bei allen Wickelgewändern immer und überall beachtet zu sein.“ ↩︎

  3. Mitunter wurden auch Musen auf Wandmalereien dargestellt: Urania ist auf der Wandmalerei im Triclinio des Casa del Bracciale, mit Kopfputz und Sphäre dargestellt (). ↩︎

  4. . Text und Übersetzung. S. 39. „Aber was schmälere ich, indem ich an allzu lockeren Zügeln ausschreite, von Liebe zu dir bezwungen, den Lobpreis? Birg, Muse, die Schildkröten-Lyra, wenn die Saiten mit dem letzten Lied angeschlagen sind!“ ↩︎

Bibliografie

Ausonius 2004
Ausonius, D. M. (2004). Mosella. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Paul Dräger. Düsseldorf und Zürich.
Bönsch 2011
Bönsch, A. (2011). Formengeschichte europäischer Kleidung. In G. Krist (Ed.), Konservierungswissenschaft - Restaurierung - Technologie. Wien und Köln und Weimar.
Istituto della Enciclopedia Italiana 1990-1999
Istituto della Enciclopedia Italiana (1990-1999). Pompei, pitture e mosaici, 1-5. Milano.