1.7. Freilegung

Planmäßige Grabung dient zur Sicherung der unterirdischen archäologischen Vergangenheit. Mit der wissenschaftlichen Begleitung der Freilegung, Bergung, Transport und Lagerung und der späteren Konservierung und Restaurierung der Funde, wird Geschichte erst les- und erklärbar gemacht.

Bis zum Bergungsbeginn der 23 Mosaikfelder, in der unangenehmen Sommerhitze des Jahres 1995, musste die Grabung organisiert und die lokalisierte Hangfläche großräumig gesichert werden, um sich dann Schicht für Schicht den antiken Resten und dem antiken Laufniveau zu nähern. Eine ganze Mannschaft von Archäologen, Grabungstechnikern, Grabungshelfern und eben auch dem spezialisierten Restaurator musste sich einspielen und aufmerksam miteinander kooperieren und arbeiten1. Bald zeigte sich im Zentrum des römischen Anwesens, Hauptraum 1 und den westlich gelegenen Nebenräumen 2, 3 und 4 (Gang oder Korridor), das ganze Ausmaß der neuzeitlichen Zerstörung im Jahre 1990 (siehe Abb. 10). Der partielle Verlust der Buntmarmorverkleidung und mehrfarbigen Deckenmalerei wog schwer. Die Dezimierung der Bausubstanz der repräsentativen Portikusvilla durch Verwitterung, Plünderung oder Steinraub ist eine Sache. Der Einsatz einer Baggerschaufel aber öffnet eine neue weitaus tragischere Dimension der Zerstörung, da der für die Archäologie wichtige Zeithorizont des Befundes unwiederbringlich ausgelöscht wird.

Expand Expand Abb. 10
Grabungsplan der freigelegten Räume (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von Véronique Biewer, 1995)

Legende Abb. 10

  1. Säulengang (Portikus)
  2. Ehemals zweigeteilter gewölbter Zentralraum (Empfangs- und Speisesaal mit „Musen-Mosaik“)
  3. Nebenraum (Küche, Speisenzubereitung?)
  4. Nebenraum (Küche, Speisenzubereitung?)
  5. Raum/Gang (Korridor)
  6. Nebenraum
  7. Nebenraum
  8. Überdachte Galerie

Die Nebenräume 5 und 6 und die Galerie 7 sind symmetrisch angeordnet. Die Wandmalereien sind durch römische Ziffern gekennzeichnet (I bis IX).

Vergleichbar mit dem Befund in Vichten ist der rekonstruierte Gebäudeplan des frührömischen Kernbaues der symmetrisch angeordneten Villa von Walferdingen-Helmsingen (siehe Abb. 11).

Der maßstabs- und deckungsgleiche Mitteltrakt mit der Vichtener Villa verblüfft (Grabungsfläche in Vichten rot markiert). Nur mit dem Unterschied, dass die Trennmauer im Empfangsraum in der Vichtener Villa den neuen Bedürfnissen - der Unterbringung des „Musen-Mosaiks“ - am Anfang des 3. Jahrhunderts weichen musste.

Expand Expand Abb. 11
Gesamtplan der römischen Villa von Walferdingen-Helmsingen mit Trennmauer im Zentralraum. Überschriebener und deckungsgleicher Ausschnitt der Grabung von Vichten, rot markiert (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von Krier, 1993)

Legende Abb. 11

  1. Säulengang (Portikus)
  2. Zweigeteilter Zentralraum
  3. Küche
  4. Galerie
  5. Innenhof
  6. Keller
  7. Großer Hypokaust
  8. Kleiner Hypokaust

Der kleine Grabungsausschnitt vom Mitteltrakt der Villenanlage - mit den freigelegten Nebenräumen, die sich westlich vom Zentralraum mit dem „Musen-Mosaik“ erstrecken - lässt nur einen bescheidenen Eindruck des planvollen Gebäudekomplexes zu. Schlussendlich wurde lediglich eine Fläche von 14 x 25 m archäologisch erfasst, praktisch ein Schnitt quer zur Gebäudeachse: neben der überdachten Säulenfront, der Portikus 0, dem gewölbtem Repräsentations- beziehungsweise Empfangsraum 1, den Nebenräumen 2 und 3, dem Raum (Gang, lat. cubicolo) 4 und die nur im Anschnitt freigelegten Räume 5 und 6, und die rückwärtig gelegene offene und überdachte Galerie 7. Wegen der eingeschränkten Fundlage ist die wahrscheinlich untergeordnete Funktion der Nebenräume 2 und 3, zum Beispiel als Küche oder Servierraum, unklar. Jedoch deuten die Felder-Lisenen-Schema der römischen Wandmalereien auf „eine seit Langem übliche Ausstattung von Räumen sekundärer Funktion“ (). Die Wandöffnungen zwischen Zentralraum 1 zu Raum 2 und 3, sowie vom Gang 4 zu Raum 6 wurden in einer vorherigen Umbauphase zugemauert. Im Zuge der Neuausrichtung des großen Saals (Zentralraum 1) wurde die Trennmauer zum dahinterliegenden Nebenraum niedergelegt, um Platz für das raumfüllende „Musen-Mosaik“ zu schaffen. Als positiven Nebeneffekt gewährte der Umbau eine zusätzliche Lichtquelle. Denn nun konnten auch die an der Nordfassade gelegenen Fenster den Saal erhellen.

Zu erwarten war, dass alsbald auch Wandmalereireste das umfangreiche Fundspektrum erweitern würden, denn reichhaltige Ausstattungsmerkmale römischer Wohnkulturen in der gallo-römischen Provinz sind hinlänglich bekannt (). Überraschend war jedoch nicht nur die Qualität und Quantität der Ausführung, sondern vor allem die fast vollständig erhaltene Wandmalerei aus Raum (Gang) 4. Die günstige geografische Hanglage und hoch anstehenden und lange Zeit unversehrten antiken Mauern begünstigten den sehr guten Erhaltungszustand der Fresken in diesem Korridor.

Der außergewöhnliche Erhaltungszustand der Funde ist auch dem Umstand zu verdanken, dass das Gebäude nach der Auflassung nicht zeitnah zerstört wurde und Bodenerosion das „Musen-Mosaik“ versiegelte. So zeigen beispielsweise die sichtbaren Kanten und Oberflächen der Mosaiksteinchen2, der tessellae () des Bodenmosaiks keine Abnutzungsspuren, die auf einen längeren Benutzungshorizont hindeuteten. Dies könnte auch den Fund eines Silberdenars, die Kaisermutter IULIA MAMAE von 222 n. Chr. bis 235 n. Chr., darstellend erklären (siehe Abb. 12). Diese Münze3, mit der spätesten Datierung der ganzen Münzreihe, in der Brandschicht direkt hinter der Eingangsschwelle in Raum (Gang) 4 gelegen, ist womöglich ein Indiz für das Auflassen der Villenanlage weit vor den hiesigen Germaneneinfällen im Jahre 275 n. Chr. Zwischen 233 und 235 n.Chr. fallen in Raetien und im obergermanischen Limesgebiet die Alamannen ein. Sie werden von dem neuen Soldatenkaiser, dem Nachfolger des ermordeten letzten Severerkaisers SEVERUS ALEXANDER, von Mogontiacum-Mainz aus 235 n. Chr. besiegt und zurückgedrängt.

Expand Expand Abb. 12
Silberdenar der Kaisermutter IVLIA MAMAE (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2020)

Über einen Zeitraum von wahrscheinlich drei oder vier Jahrzehnten löste die zerstörerische Verwitterung durch Frost- und Wurzelsprengung die Freskenfragmente zunehmend von der Wand ab. Auch setzte die Witterung dem Mosaik im Eingangsbereich zu. Ungeschützt, die Türangeln für die schwere zweiflüglige Eingangspforte waren noch nicht ausgeführt, verwitterte das Mosaik halbkreisförmig am offenen Eingang.

Schicht für Schicht lagerten sich die Bruchstücke in dem 1,50 m schmalen Gang beziehungsweise Raum 4, ab. Beispielhaft die Nordwestecke in Raum 4, neben dem Durchgang vom Zentralraum 2 zu Raum 5 mit der, noch an der Wand anhaftenden, Theatermaske: Wandmalerei VII. Links der aufgetürmte Schuttberg mit den Wandmalereiresten aus dem Gang 4 mit Blickrichtung nach Westen (siehe Abb. 13). Später fielen die losen Mauersteine obenauf, Regenwasser löste über Jahrhunderte den Hangboden auf, schwemmte als mächtigen Erdauftrag die Trümmerstelle zu und konservierte so den historischen Schatz - hangseitig blieben die Mauern bis zu einer Höhe von 1,40 m erhalten. Schließlich überzog feinster Lehmschlicker nebenan in Raum 1 zentimeterdick den bunten Teppich aus tausenden von Steinchen und färbte diesen rötlich ein. Ein Glücksfall für die Archäologen!

Expand Expand Abb. 13
Im Raum (Gang) 4 Teilstück der freigelegten Wandmalerei VII mit Theatermaske, Blickrichtung nach Westen (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1995)

In Folge der Druckbelastungen durch herabfallende Bauteile, Schuttmassen und Erdreich senkte sich der Mosaikestrich, in Abhängigkeit von der Qualität des Unterbaus, unterschiedlich stark. Fugen wurden gedehnt oder zusammengedrückt, die Steinkuben verloren teilweise die Haftung zum Mörtelbett. Die Mosaikflächen waren bei der Aufdeckung nicht mehr plan und eben, und durch die ungewollte Dehnung verzerrte sich irreversibel die Mosaikfläche.

Eine Konservierung des Mosaiks durch einen Hangrutsch ist auszuschließen, da kein hangseitiger Versturz der Mauer direkt auf dem Mosaik und in dem Korridor 4 freigelegt und dokumentiert wurde. Aber die rot gefärbten Schlickerreste, als Sinterbelag bis zu 6 cm mächtig als Mosaikabdruck haftend an der Marmorinkrustation im Hauptraum (siehe Abb. 43), sind ein sichtbares Zeichen der kontinuierlichen Einschlämmung über einen längeren Zeitraum. Zu einem späteren Zeitpunkt mag ein Hangrutsch die Trümmerstelle zusätzlich versiegelt haben, da die geschwächten Mauern dem Hangdruck nicht mehr standhielten.

Nach und nach fielen die verbliebenen Mauerstümpfe Steinraub zum Opfer. Von der umliegenden Bevölkerung als Steinbruch abgetragen, wucherte das Gelände allmählich zu und wurde irgendwann als Ackerland genutzt. Es ist aber davon auszugehen, dass die landwirtschaftlichen Nebengebäude, auch nach Aufgabe des Hauptgebäudes, der Landbevölkerung weiterhin Unterschlupf und Verdienstmöglichkeiten sicherten.

Den einfallenden und plündernden Germanen, die im Jahre 275 den Limes durchbrachen und die rheinischen und gallischen Provinzen verwüsteten, bot die verlassene Domäne sicherlich kein lohnendes Ziel mehr. Ein anderes Bild bot die Bartringer Axialhofvilla. Hier erfolgte zwischen 268 und 270 n. Chr. der vergebliche Ausbau des Kornspeichers zu einem Burgus mit Zangentor und Ecktürmen im Nebengebäude Nr. 5 (), um die Bewohner vor den Kriegswirren zu schützen.

Trotzdem brandschatzten die Eindringlinge auch das weitläufige Vichtener Landgut, was anhand dokumentierter Brandschichten ersichtlich wird. Die Hitze und Glut der brennenden hölzernen Dachkonstruktion konnten die herabgefallenen Wandmalereien, das Mosaik und die Marmorverkleidungen jedoch nicht mehr signifikant in Mitleidenschaft ziehen. Brandflecken verteilten sich unregelmäßig über das ganze Mosaik. Lediglich an einer Stelle (Feld III) im hinteren Bereich des Vorteppichs, sickerte flüssiges Blei vom brennenden Dachstuhl durch die Schuttschicht auf eine Kreuzblume und führte zu einer leicht wurmförmigen Verfärbung des Mosaiks.

Fast mittig im vorderen Bereich des Bodenmosaiks im Zentralraum 1 der Villa, zwischen den Medaillons der Musen MELPOMENE und der THALIA, klaffte ein ca. 20 cm breites und 30 cm tiefes Loch. Das Pfostenloch könnte auf eine zeitlich begrenzte Nutzungsphase als provisorische Überdachung in der Spätantike hindeuten. Es ist davon auszugehen, dass der hintere Raum schon von Trümmerschutt und Erdreich soweit verfüllt war, dass ein Entfernen desselben sich sehr mühevoll gestaltete. So liegt es nahe, den vorderen Teil des Mosaikraums mit noch hoch aufragenden Mauern als vorübergehenden Unterstand zu nutzen. Sozusagen als Provisorium, bis in unmittelbarer Nähe genügend Wohnraum in Holzarchitektur für den Ackerbau und Viehzucht betreibenden fränkischen Siedler im 5. Jahrhundert bereitgestellt war (). Eine Siedlungskontinuität der anderen Art konnte in Bartringen nachgewiesen werden: In den Nebengebäuden 1 und 2 der römischen Villa konnte zur großen Überraschung der Ausgräber 13 reich ausgestattete Bestattungen, Überreste einer fränkischen Adelsnekropole, freigelegt werden (). Ebenso erbrachte die Grabung in Helmsingen, „dass das Gelände der in Trümmer liegenden römischen Villa auch noch in fränkischer Zeit besiedelt war“ ().


  1. An dieser Stelle sei der Grabungsmannschaft für ihren unermüdlichen Einsatz gedankt: Zum einen den Mitarbeitern des Grabungsdienstes des MNHA, mit dem erfahrenem Grabungsleiter Dr. Jean Krier, dem wissenschaftlichen Assistenten François Reinert und der Grabungstechnikerin Véronique Biwer, den engagierten Grabungsarbeitern der Firma Peller & Schmitz aus Grevels und zum anderen den Mitgliedern der Nospelter „Georges Kayser Altertumsforscher“. ↩︎

  2. . TESSELLARE. S. 29. „Das Verbum TESSELLARE begegnet mehrfach in Mosaikinschriften. Es hängt zusammen mit TESSELLA = Würfel…“ und S.31: „Ein Mosaizist kann durch TESSELLARIUS, TESSERARIUS oder TESSELATOR bezeichnet werden, denn sowohl TESSELLA als auch TESSERA können „Mosaikwürfel“ bedeuten“. ↩︎

  3. Arnould Cécile, Assistante scientifique, Cabinet des médailles, Musée national d’histoire et d’art Luxembourg (MNHA): Julia Mamaea Denarius, RIC 343, RSC 35, BMC 43; Julia Mamaea Denarius. Early 222 AD. IVLIA MAMAEA AVG, draped bust right / IVNO CONSERVATRIX, Juno standing left, holding patera & scepter, peacock at feet left. RSC 35. ↩︎

Bibliografie

Champion 1982
Champion, S. (1982). Mosaik. In DuMont’s Lexikon archäologischer Fachbegriffe und Techniken. Köln.
Cüppers 1983
Cüppers, H. (1983). Die Treverer und die Augusta Treverorum. In Die Römer an Mosel und Saar, S. 17-32. [Ausstellungskatalog]. Mainz.
Donderer 1989
Donderer, M. (1989). Die Mosaizisten der Antike und ihre wirtschaftliche und soziale Stellung. Erlangen.
Krier 1993
Krier, J. (1993). Die römische Palastvilla von Helmsingen. In Walferdingen, Geschichte - Kultur - Natur, S. 49-76. Walferdingen.
Krier 2009b
Krier, J. (2009). Die Ausgrabungen auf dem Gelände der römischen Palastvilla von Bartringen- „Burmicht“. In G. Kremer (Ed.), Das frühkaiserzeitliche Mausoleum von Bartringen (Luxemburg), S. 13-30. Luxemburg.
Kuhnen 1996
Kuhnen, H.-P. (1996). Zwischen Reichs- und Stadtgeschichte - Trier in Spätantike und Frühmittelalter. In Die Franken: Wegbereiter Europas, 1, S. 138-144. [Ausstellungskatalog]. Mannheim.
Strocka 1975
Strocka, V. M. (1975). Neue Forschungen in Pompeji. In Andreae, B. et al. (Eds.), Neue Forschungen in Pompeji und den anderen vom Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschütteten Stätten. Internationales Kolloquium über Forschungen in den Vesuvstädten 11. Bis 14. Juni 1973, S. 101-114. Deutsches Archäologisches Institut. Recklinghausen.