2.8.2. Opus sectile

Ergänzend zu den Funden der gegenüberliegenden Seiten, bereichern Funde aus der Nord-Ost-Ecke das Spektrum der Ausschmückung des großen Saales mit farbigen Mamorsorten in opus sectile1. Die Spannweite der Materialstärke variiert zwischen 3 mm und 29 mm. Dazwischen ein kunstvoll geschnittenes Dekorelement in Tropfenform (siehe Abb. 47). Das verleitet zu der Vermutung, dass die Nord-Wand auch mit opus sectile ausgeschmückt war. Hervorzuheben sind außerdem Buntmarmorreste von der Mitte der Ost-Wand welche den Übergang von den großen Marmorplatten zum wellenartigen amorphen Dekor dokumentieren. Ein rund 60 cm langer und 26 mm dicker Rest zierte als oberer Abschluss als frei gestaltetes langgezogenes, amorph- „barockes“ Wellenformmotiv mit weiteren Ergänzungsmöglichkeiten (siehe Abb. 48).

Jegliches Fehlen von Profilstücken, welche üblicherweise den Sockel zur Hauptzone überleiten, oder als oberer Abschlussfries, deuten auf eine andere, als sonst übliche Praxis in der römischen Wandgliederung in Vichten hin (). Neben der einfachen Horizontalgliederung durch schmale Leisten, die die Sockelprofilleiste (siehe Abb. 51) ersetzt, übernahm der obere amorphe Dekorabschluss wahrscheinlich stellenweise die Funktion der Abschlussfriesleiste (siehe Abb. 54). Eine dritte Marmorplattenreihe mit überwiegend amorphen Elementen ist ebenfalls nicht auszuschließen. Selbst aus der reich ausgestatteten Echternacher Villa sind nur rein geometrische opus sectile-Wandplattenreste bekannt (). Auf jeden Fall erfuhr 150 Jahre später die Vichtener Dekorationswandmode eine neue Facette, die im Bezug oder als Bestandteil zur Wandmalerei gesehen werden sollte.

Expand Expand Abb. 47
Amoprhe Formelemente des opus sectile aus Buntmarmorstücken des Friesbandes, Nord-Ost-Ecke (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2020)
Expand Expand Abb. 48
Rund 60 cm langer, frei gestalteter, teils amorpher oberer Dekorabschluß einer teilrekonstruierten Buntmarmorplatte, Erweiterungsmöglichkeit in opus-sectile-Manier, Ost-Wand (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2022)

Die Konzentration der Funde von Architekturresten zentral unterhalb der West- und Ost-Wand verleiten zum Schluss, dass beide Wände zentriert spiegelgleich mit opus sectile bereichert wurden, der wahrscheinlich zum Teil aus der oberen Plattenreihe herauswuchs. Kleine Einlassungs- oder Dübellöcher an den Kanten der Marmorplatten liefern Hinweise auf eine solche Wandgestaltung.

Sowohl Marmorreste aus Kohlenkalk und Buntmarmor weisen bis zu 20 mm tiefe Bohrungen auf (siehe Abb. 49). Von den zehn identifizierten Objekten entfallen 8 auf den Buntmarmor und zwei auf den dunklen Kohlenkalk. Die Durchmesser von 5 mm beziehungsweise 6 mm entsprechen den Bohrungen von einigen kleinen amorphen Formelementen aus Buntmarmor. Die schmalen „barocken“ Formelementen konnten sowohl horizontal, als auch vertikal fixiert werden. Der rote Kreis markiert die beiden gegenüberliegenden Bohrlöcher (siehe Abb. 50). Die trichterförmig gemeißelte Vertiefung als Bohrhilfe ist an der begradigten Stoßkante am unteren Stück gut ablesbar. Waren die Bohrungen in den Längsseiten eingelassen, konnten diese mit Stiften fixiert über der Wandvertäfelung thronen. Um den Übergang fließend ohne Absatz von der unteren Marmorplatte zum Musterelement zu gewährleisten, schliff der Steinmetz die überstehende Stoßkante einer der Marmorplatten ab.

Um eine exakte Bohrung zu ermöglichen, bereiteten der antike Handwerker mit einem schmalen Meißel eine trichterförmige Vertiefung vor. So konnte sich punktgenau der Drillbohrer in das harte Material arbeiten. Das gänzliche Fehlen von Korrosionsresten, sei es Eisenrost oder Grünspan, ist durch den Umstand zu erklären, dass für die Befestigung der Marmore stattdessen Holzdübeln verwendet wurden. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass ein Teil der Inkrustationsarbeiten unvollständig blieb. Dennoch zeigt das Buntmarmorfragment der Ost-Wand deutlich, dass Zierelemente Bestandteil der Wandgestaltung waren. An diversen Fragmenten waren im Bohrkanal unter dem Mikroskop Reste eines hellen Kittes erkennbar, bei welchem es sich jedoch auch um Marmormehl handeln kann, welches nach dem Bohrvorgang im Kanal verblieb.

Die Rundung eines Formelements aus Buntmarmor, welches aufgrund seiner Beschaffenheit den großen Marmorplatten zugeordnet werden kann, entspricht dem Durchmesser der rekonstruierten Diabas-Scheibe. Dieses Indiz unterstreicht die Theorie, dass die Diabas-Scheibe in die Marmorvertäfelung integriert war. Zum Beispiel als Bestandteil im Zentrum einer Raute. Auf einer Wandmalerei mit Marmorinkrustationsimitaten aus dem Hauptraum der teilweise freigelegten Römervilla von Schieren, hat die abgebildete grüne Diabas-Scheibe erstaunlicherweise den gleichen Durchmesser wie die echte Marmorscheibe aus Vichten (siehe Abb. 37).

Expand Expand Abb. 49
Ansätze des Drillbohrers, rillenförmig erhalten, an der begradigten Längsseite der Kohlenkalkplatte, Ost-Wand (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 2020)
Expand Expand Abb. 50
Ein kleines und ein größeres Plattenstück aus Buntmarmor mit aufliegendem amorphen Bruchstück, Ost-Wand (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2022)

Inwiefern diese obere Reihe an großflächigen Buntmarmor- oder Kohlenkalkplatten aufgebrochen und erweitert wurde, um Felder mit opus sectile zu schmücken, bleibt unbeantwortet. Ebenso, ob oberhalb der Wandvertäfelung großflächige opus sectile-Ornamente mit Pilastern die projektierte Wandmalerei beidseitig bereicherten. Das Vorhandensein von nur 10 mm dicken und 20 mm hohen Leisten aus grünem Trierer Diabas und die Bohrlöcher auf den Längsseiten der großen Marmorplatten sprechen für eine Flächengestaltung, die über das Maß der postulierten, zwei übereinanderliegenden Marmorplattenreihen mit Riemchen von 126 cm (= 4 pes) hinausging. An einem etwa 9,6 cm mal 10,5 cm großen Eckfragment aus Buntmarmor von der West-Wand blieb eine Gehrung erhalten. Solche Gehrungsschnitte wurden üblicherweise als Winkelelement eingesetzt, um zum Beispiel eine abknickende Nischenwand oder Fensterschacht, durchgehend mit Marmor zu verkleiden.


  1. Opus sectile, das „geschnittene Werk“, war eine beliebte Dekorationstechnik in der Antike. Hierfür wurden verschiedene Materialien - insbesondere Buntmarmore -, in dünne Platten geschnitten (lat. crusta) und die „Riegel, Rhomben, Dreiecken oder Sechsecken“ () zu geometrischen Mustern zusammengefügt, ähnlich den Holzintarsien. Auf diese Weise wurden Wände, Böden und Mobiliar dekoriert. ↩︎

Bibliografie

Fischer 1969
Fischer, P. (1969). Das Mosaik, Entwicklung, Technik, Eigenart. Wien und München.
Metzler et al. 1981
Metzler, J., Zimmer, J., & Bakker, L. (1981). Ausgrabungen in Echternach. Luxemburg.
Mielsch 1985
Mielsch, H. (1985). Buntmarmore aus Rom im Antikenmuseum Berlin. Berlin.