4.4.2. Gliederungsschema

Das Vichtener „Musen-Mosaik“, als quadratische Zentralkomposition mit konzentrisch geordneten geometrischen Freiflächen in Form von Medaillons, gliedert sich nach dem Zweifelder-Mosaiksystem in zwei klar voneinander getrennte Kompartimente (siehe Abb. 153).

Das ganze Feld umzieht ein weißes Band auf schwarzem Grund, welches dieses zweiteilt: So entsteht ein schmales rechteckiges, buntfarbiges Hauptfeld, bestehend aus der quadratischen Gesamtkomposition, welchem sich an den Schmalseiten Unterteppiche (Schwellstreifen) anschließen. Die zweite Form wird durch ein schwarz-weiß farbigem breit rechteckigen Nebenfeld, dem Vorteppich gebildet. Hier bildet das „Musen-Mosaik“ anscheinend eine Ausnahme, denn die bekannten Beispiele Anfang des 3. Jahrhunderts aus Trier und dem Umland bestehen aus einem quadratischen Hauptfeld - ohne Unterteppiche - und einem rechteckigen oder apsidialen Vorteppich (siehe Abb. 154 bis Abb. 158, rot markiert).

Expand Expand Abb. 153
Zweiteiliges Gliederungsschema des weißgrundigen „Musen-Mosaiks“ in buntfarbiges Haupt- oder Themenfeld (Teppich) und ambivalentem schwarz-weißem Nebenfeld (Unterlage), Feld I bis XXIII (Quelle: Christof Weber, 2002)

Fünf ausgesuchte Beispiele aus der 1. Hälfte (spätseverisch) des 3. Jahrhunderts n. Chr. () (siehe Abb. 154 bis Abb. 158) illustrieren die Vielseitigkeit des Kompositionsschemas. Fett gedruckt sind die Katalognummern der Mosaike und Motivübereinstimmungen mit dem „Musen-Mosaik“:

  1. Diagonalschachbrettgrund (Abb. 154) - Trier (Deutschland), 20 Böhmerstraße - Tafel 14, Mosaik mit geometrischem beziehungsweise ornamentalem Muster mit Bildfeld - Vorteppich
  2. Diagonalschachbrettgrund (Abb. 155) - Trier (Deutschland), 108 Ostallee - Tafel 71, „Rennfahrer-Mosaik“ - Vorteppich
  3. Diagonalschachbrettgrund (Abb. 156) - Trier (Deutschland), 135 Südallee - Tafel 84, Ornamentales Fragment – Vorteppich
  4. Rechteckrapport (Abb. 157) - Trier (Deutschland), 72 Konstantinplatz, „Procuratoren-Palast“ - Tafel 37, Fragment mit ornamentalem Muster, „Literaten“- oder „Rhetoren-Mosaik“ mit Musenabbildungen und Zentraloktogon - Vorteppich
  5. Schwellstreifen (Abb. 158) - Fließem (Deutschland), 183 Römische Villa Otrang, Raum 19 - Tafel 111, ornamentales Mosaik - Apsis mit geometrischen Füllmotiven
Expand Expand Abb. 154
1 - Trier (D), 20 Böhmerstraße, Mosaik mit geometrischem Muster - Vorteppichfragment (rot markiert), Diagonalschachbrettgrund und abgetreppte (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)
Expand Expand Abb. 155
2 - Trier (D), 108 Ostallee, „Rennfahrer-Mosaik“, 4,50 m x 3,35 m - Vorteppich (rot markiert), Diagonalschachbrettgrund (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)
Expand Expand Abb. 156
3 - Trier (D), 135 Ornamentales Fragment, 3,50 x 3,40 m - Vorteppich angeschnitten (rot markiert), Schachbrettgrund (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)
Expand Expand Abb. 157
4 - Trier (D), 72 Konstantinplatz, „Procuratoren-Palast“. Fragment mit ornamentalem Muster, „Literaten“- oder „Rhetoren-Mosaik“ mit Musenabbildungen und Zentraloktogon, 6,60 m x 4,50 m - Vorteppich gespiegelt (rot markiert), Rechteckrapport (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)
Expand Expand Abb. 158
5 - Fließem (D), 183 Römische Villa Otrang, Ornamentales Mosaik mit pflanzlichen und figürlichen Motiven, 7,85 m x 4,35 m - apsidialer Vorteppich (rot markiert), Schwellstreifen (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)

Markiert und zusammengehalten durch den umlaufenden zweifarbigen Ornamentrahmen, ist das dreigegliederte Hauptfeld des „Musen-Mosaiks“ aus einem großen quadratischen Mittelfeld, dem „Zentralteppich“ und den oben und unten angefügten Rapportstreifen, den „Unterteppichen“ zusammengefügt. Die letztgenannten längen das Quadrat zu einem ausgesprochenen Schmalrechteck. Losgelöst von dem dreiteiligen „Hauptteppich“ und nur durch einen schmalen weißen Streifen als kleineren Teil des größeren gekennzeichnet, liegt die „Unterlage“ angefügt an der Nordseite. Der äußere schmale, schwarze Rahmen übernimmt an den beiden Schmal- und Langseiten die Funktion der flexiblen Füllfläche zwischen Mosaik und aufgehender Wand und fungiert als imaginäre Bodenbelagebene (siehe Abb. 159 und Abb. 160). Somit entsteht die perfekte Illusion von Teppich bedecktem dunklem Steinplattenboden im Wohn- und Esszimmer.

Expand Expand Abb. 159
Aufbau der Belagebenen - „Musen-Mosaik“ (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

Um die Konzeption des Mosaikentwurfs als quadratische Zentralkomposition dem Rechteckraum anzupassen, implizierte der Raumzweck eine Anpassung des Mosaiks an die Raumverhältnisse. Der Raumzweck beinhaltete den Platz für den Speisebereich, der in dem vorherigen kleineren Zentralraum zu klein ausfiel. Die beiden hintereinander angeordneten ungleich großen Räume wurden zu einem Großen zusammengelegt. Durch den hinzugewonnen hinteren kleineren Raum konnte zusätzliches indirektes Tageslicht über eingefügte Fenster in der Nordfassade den nun großen Saal erhellen (siehe Kapitel Fensterrekonstruktion). Ob auch der Goldene Schnitt - die schon in der Antike angewandte, der Natur entlehnte, mathematische Schönheitsformel (siehe Kapitel Metrische Gesetzmäßigkeiten) - eine Rolle bei den Überlegungen spielte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall entsprechen die Seitenlängen exakt dieser Formel: Strecke A-B = 38,2 % (5,87 m) + Strecke B-C = 61,8 % (10,26 m) entspricht Strecke A-C = 100% (16,13 m).

Die vergrößerten Raumverhältnisse genügten nun den Ansprüchen als Repräsentations-, Empfangs- oder Speisesaal, eben ein multifunktionaler Saal mit luxuriöser Ausstattung. Hierin lag eine der Stärken des Mosaiks. Da es problemlos an jede beliebige Raumform angepasst werden kann. Als Lösung des Konfliktes legte der Mosaizist Schicht für Schicht auf die vorgegebene virtuelle Belagebene - der schwarze Randstreifen ist dessen erkennbarer Rest. Erst einen rechteckigen Teppich, mit den Peltenrapports und mittig obenauf den quadratischen Hauptteppich mit dem Thema. Und zum Schluss der freigebliebene hintere Speisebereich im Diagonalschachbrettgrund.

Durch die Dreigliederung mittels eines viersträhnigen Flechtbands auf schwarzem Grund, der das langrechteckige Themenfeld umschließt, harmonieren die drei Felder miteinander und zeugen so von ihrer Zugehörigkeit. Dabei wird der Betrachter geschickt darüber hinweggetäuscht, dass die beiden gegenüberliegenden Peltenrapporte als Unterteppiche an die Rechteckschmalseiten hinzugefügt, gar nicht zum Hauptthema passen und nur schmückendes Bei- beziehungsweise Füllwerk sind. Das im Augustinerhof in Trier entdeckte wunderschöne römische Mosaik mit Zentralkomposition und Rautensternen - in Nachfolge des schöpferischen Einflusses aus dem Rhônetal - mag als weiteres Beispiel für die gestalterische Vielfalt und Gestaltungsmöglichkeit der „Trier-Mosaizisten“ gelten (siehe Abb. 161). Das im Jahre 1859 freigelegte ornamentale Mosaik mit Inschrift, auch „Victorinus-Mosaik“ () genannt, zeigt Idealtypisch die Idee als eigenständiges Gestaltungselement der Innenarchitektur und als berechtigtes Luxuselement im 3. Jahrhundert: der schichtenweise Aufbau beginnt mit der sichtbaren und imaginären Belagebene, als solcher als schwarzer Rand mit eingestreuten Kreuzsternen erkennbar. Dann dem darauf platzierten Unterteppich, als Quadrat-Rechteck-Rapport. Der obenauf liegende quadratische Hauptteppich mit dem zentralen Thema ist den Raumverhältnissen durch Anfügen eines Rapportstreifens oben und unten, der sozusagen hervorlugt, angeglichen worden.

Expand Expand Abb. 160
Aufbau der Belagebenen - „Victorinus-Mosaik“ (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)
Expand Expand Abb. 161
„Einfeld-Mosaik“ mit Unterteppich - „Victorinus-Mosaik“, Mitte 3. Jahrhundert, Vorteppich (rot markiert) gespiegelt (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier)

Radikaler war die Lösung in Vichten für den angedachten Speisebereich. Hier wurde nicht nur die Raumform an das Mosaik angepasst, sondern auch die Gestaltung in Anlehnung an eine Holzdecke umgesetzt (siehe Abb. 153). Ohne jegliche Verbindung zum Hauptfeld, sei es durch das viersträhnige Flechtband oder eine enge Verwandtschaft zur Musterung, setzt sich der weißgrundige Orthogonalrapport vom Rest des Bodenmosaiks ab und liegt auf der dunklen Belagebene. Ein weißer Rahmen, bestehend aus vier Steinreihen, begrenzt an allen vier Seiten den Unterteppich. An der Schmalseite zur Nordwand wirken die auswärts gerichteten abgetreppten Dreiecke wie Fransenschmuck. Zusätzlich betont die raumfüllende Breite des rhythmisch gegliederten Musterrapports die ihr zugedachte besondere Funktion und Wertschätzung.

Bibliografie

Hoffmann et al. 1999
Hoffmann, P., Hupe, J., & Goethert, K. (1999). In Katalog der römischen Mosaike aus Trier und dem Umland. Trierer Grabungen und Forschungen, 6. Trier.