2.3. Fensterrekonstruktion

Den hiesigen klimatischen Verhältnissen angepasst, musste der übliche Tageslichteintritt durch eine Öffnung im Hauptraum, dem atrium, einer gallo-römischen Villa in den nördlichen Provinzen des römischen Reiches anders gelöst werden. Normalerweise erlaubte die Höhe des zentralen Empfangssaals, jeweils seitlich und über der vorgelagerten Säulenfront (Portikus 0), die mit einem tieferliegenden Pultdach () geschützt war, die Möglichkeit von Fenstern (Lünetten). So konnten die verglasten Oberlichter dem ansonsten dunklen Hauptraum etwas Tageslicht spenden (). Über die rückwärtige Galerie 7 war dies, wie wir später sehen können, erst durch das Entfernen der Trennwand des ehemals zweigeteilten Zentralraums möglich. Eine weitere Lichtquelle bildete die zweiflüglige Hauptpforte.

Flache Glasreste, zum Teil durch die Hitze eines mächtigen Feuers verformt, konnten zwischen den Malereien aufgelesen werden. Selbstverständlich waren römische Gebäude, vor allem in Bezug auf das raue Klima in den nördlichen Provinzen des Imperiums, verglast. Der Glasfund deckt sich mit den Beobachtungen in der Helmsinger Römervilla (), wo eine hohe Anzahl an Fragmenten von Fensterglas gefunden wurde. Da die Fensterglasfragmente (siehe Abb. 29 und Abb. 30) jeweils vor der West- und Ost-Wand des Zentralraumes lagen und nicht wie vermutet an der Süd- und Nord-Wand, schließt eine andere Oberlichtanordnung nicht aus. Um genügend Freifläche für die Oberlichter auf den seitlichen Fassadenseiten zu erhalten, müsste das Dach des Zentralraums die seitlich gelegenen Räume entsprechend der Höhe der Lünetten überragen. Da die rekonstruierte Raumhöhe anhand der Wandmalereien von 4,37 m - ohne Dachkonstruktion - aus dem benachbarten Raum (Gang) 4 vorliegt, müsste bei einem durchgehenden First der Zentralraum den restlichen Baukörper turmartig um zwei Meter überragen1. Dies entspricht einer durchaus üblichen architektonischen Variante der Axial-Villa (). Die Rekonstruktion der römischen Villa von Borg () postuliert diese beiden Erscheinungsformen: einmal mit durchgehendem First und Dreiecksgiebel im Mitteltrakt, sowie als turmartigen Dachausbau im Seitenflügel. Ein deutlicher Unterschied ist jedoch, dass die Oberlichter als Lichtgaden nicht seitlich entlang der Gebäudeachse, sondern, wie auch für Vichten vermutet, jeweils zur Vorder- und Rückseite ausgerichtet sind.

Expand Expand Abb. 29
Reste von Fensterglas, West-Wand (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2020)
Expand Expand Abb. 30
Reste von Fensterglas, Ost-Wand (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2020)

Eine römische Wandmalerei aus dem Landesmuseum Trier (siehe Abb. 31) zeigt eine dritte und räumlich vereinfacht dargestellte Variante, welche die gestalterische Freiheit der Architekten und Bauherrn belegt, um aus dem strengen Kanon der VITRUV‘schen „Baufibel“ auszubrechen: Eine Portikusvilla mit zwei turmartigen Eckrisaliten und dazwischen tiefer liegendem Kernbaues. Dargestellt ist wohl die Heimkehr des Hausherrn in typischer Treverertracht, mit einem Cape, dem Kapuzenmantel (lat. cuculla) und Wanderstab. Wegen der fehlenden Zentralperspektive etwas disproportional im Hintergrund die Wiedergabe einer gallo-römischen Villa mit turmartigen Eckrisaliten und tiefer liegender Portikus mit Oberlichtern im Satteldach. Die vorgelagerte Frontlaube, bestehend aus drei Säulen mit Basen und Kapitellen, verbindet die unterschiedlich hochaufragenden Eckrisalite. Die Tiefenwirkung wird durch Schräganordnung erzeugt. Den rückwärtigen, nicht dargestellten zentralen Baukörper erhellten fünf Dachfenster. Ein künstlerischer Kniff, da die Fenster auf der Fassadenfläche zwischen dem Pultdach der Portikus und dem Satteldach des Kerngebäudes lagen. So könnte entsprechend auch der tieferliegende Zentralraum der Vichtener Villa von der Süd- oder Nord-Seite vom Tageslicht profitieren (; ). Auch VITRUV legt besonderen Wert auf die zweckgerichtete Ausrichtung des Winterspeisezimmers nach der Himmelsrichtung Süd-Süd-West, um von der wärmenden Abendsonne zu profitieren ().

Expand Expand Abb. 31
Ländliche Szene auf einer römischen Wandmalerei des 2. Jahrhunderts aus einem Trierer Stadthaus (Quelle: Rheinisches Landesmuseum Trier)

  1. . Text und Übersetzung. S. 33. „Ja, (eine andere) sogar, die mit niedriger Basis auf bewässerten Wiesen angelegt ist … und stößt drohend mit erhöhtem Dach in den Himmelsraum empor, indem sie einen hohen Turm emporreckt, wie der Pharus von Memphis.“ ↩︎

Bibliografie

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Ausonius 2004
Ausonius, D. M. (2004). Mosella. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Paul Dräger. Düsseldorf und Zürich.
Birkenhagen 2004
Birkenhagen, B. (2004). Die römische Villa Borg, ein Begleiter durch die Anlage. Merzig-Wadern.
Echt 2016
Echt, R. (2016). Endlich entdeckt: „Das Drum und Dran der landwirtschaftlichen Anwesen“, das neue Bild der Villa von Nennig, Kr. Merzig-Wadern (Saarland). In R. Echt, B. Birkenhagen, & F. Sarateanu-Müller (Eds.), Monumente der Macht. Die gallo-römischen Großvillen vom längsaxialen Typ., S. 303-330. Bonn.
Heimberg & Rieche 1998
Heimberg, U., & Rieche, A. (1998). Die römische Stadt: Planung, Architektur, Ausgrabung, 18. Archäologischen Parks Xanten. Köln.
Kretzschmer 1983
Kretzschmer, F. (1983). Bilddokumente römischer Technik. Düsseldorf.
Krier 1993
Krier, J. (1993). Die römische Palastvilla von Helmsingen. In Walferdingen, Geschichte - Kultur - Natur, S. 49-76. Walferdingen.
Vitruv 2013
Vitruv (2013). Zehn Bücher über Architektur (C. Fensterbusch, Übersetzer). Darmstadt.