1.4. Axialhof-Villa
Die heutige Bebauung legt nahe, dass der eingefriedete Wirtschaftshof, dem Bodenrelief angepasst, sich trapezförmig beiderseitig der Viicht, also unterhalb des erhöht im Hang liegenden Herrenhauses, erstreckte (siehe Abb. 7). Durch die geotopografische Lage bedingt, konnte der verkürzte Wirtschaftshof nicht die sonst übliche Flächengröße erreichen. Ausgehend vom Bach Viicht bis zum ansteigenden Gelände im Süden Richtung Flur „Akscht“, ist nur Platz für 6 regelhaft angeordnete Nebengebäude. Beispielhaft sei die Domäne von Bartringen mit deren 10 genannt ( ).
Der Verlauf der Straße und die Entfernung zum Herrenhaus entspricht genau dem Dispositionsschema einer axial ausgerichteten Domäne, die aus Haupthaus und Nebengebäuden (
; ) bestand. Teilweise bildet der Straßenverlauf den vermuteten Grundriss der Vichtener Hofanlage ab. Allein, wie im Fall der römischen Palastvilla von Bartringen ( ), die stattlichen Maße, nur der eingekrenzten Hoffläche mit Herrenhaus, von ca. 405 m auf 190 m oder 7,7 Hektar (1 ha = 10000 qm) haben konnte. Im Rheinland waren landwirtschaftliche Betriebe - Wohngebäude, Hoffläche, Wiesen und Äcker - als „Familienunternehmen mit Grundstücken (lat. fundi) von 50 bis 100 ha üblich“ ( ).Alles spricht dafür, daß die Vichtener Domäne zu den ehemaligen ländlichen gallo-römischen Großvillen vom längsaxialen Typ im Großherzogtum Luxemburgs, mit dem Baubestand des prachtvollen Herrenhauses, die pars urbana, und dem regelhaft angeordneten, aber verkürzten Wirtschaftshofs, der pars rustica, einzuordnen ist.
Die gallo-römischen Großvillen sind eine eigenständige Entwicklung, abgeleitet von den eingefriedeten gallischen Gehöften in Fachwerkbauweise. Neben einer kontinuierlichen Entwicklung vom Holz- zum Steinbau, als Beispiel aus Luxemburg sei die römische Villa von Goeblingen-„Miecher“ (
) genannt, gab es auch Neugründungen, wie die Palastvilla von Echternach ( ). „Das große, rechteckige oder trapezförmige Hofareal ist meist von einer Hofmauer umgeben. Eine Quermauer im Inneren mit Tor in der Mitte trennt die pars urbana von der wesentlich größeren pars rustica.“ „Die Hoffläche schwankt zwischen 3 und 13 ha“ ( ). Die regelhaft, axialsymmetrische aber individuell angelegte Domäne - mittig das Haupthaus an der nördlichen Schmalseite der langrechteckigen Hoffläche - ist eine Besonderheit der Nordwestprovinzen. Baulich weit entfernt von den italischen Villen, seien es Atrium- oder Perystilhäuser, als „Landgüter der Oberschicht“ ( ).
Legende Abb. 7
- Usine romaine, vorkragender Seitenflügel der Palastvilla (Lieschkarte)
- Substructions (Lieschkarte) und Pierres Romaines (Siegenkarte)
- Temple romain, Grabdenkmal Nolstaenstraße? (Siegenkarte)
- Notgrabung 2005, Hauptstraße 18
Anhand der Beispiele von römischen Großvillen in der Region, wie Bartringen (Abb. 8a und Abb. 8b).
), Echternach ( ), Borg (Kreis Merzig-Wadern) ( ), Bliesbruck-Reinheim (Saarpfalz-Kreis) ( ) oder Heitersheim (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) ( ), lässt sich eine Entwicklung erkennen, die aus bescheidener Holzarchitektur von Generation zu Generation das Herrenhaus und den zugehörigen Wirtschaftshof nun in Steinbauweise vergrößerte, verschönerte und mit einer mächtigen Mauer umgab. „Jede Generation (oder jeder neue Eigentümer?) baute an dem Villenkomplex, und das bezog sich gleichermaßen auf Speicherbauten und Badehaus“ ( ). Vergleichbar mit einem Baukastensystem, das natürlich regional eingefärbt war, hatte der gallo-römische Grundbesitzer ein architektonisches Werkzeug in der Hand, um seine Teilhabe an dem überlegenen römischen Verwaltungs- und Lebensstil und damit seine Macht zu demonstrieren (sieheAuch für den archäologischen Befund in Vichten treffen VITRUV‘s1 Empfehlungen zur Raumsymmetrie und Ausrichtung zu ( ): Eine südexponierte Großvilla als repräsentative Palast- oder Luxusvilla im längsaxialen Portikustyp, also mit einer vorgelagerten überdachten Säulenfront an der Haupteingangsseite des langgestreckten Kernbaues, dem gewölbtem Mitteltrakt und hervorspringenden Seitenflügeln, den Nebentrakten (Eckrisaliten), gegliedert durch einen strengen symmetrischen Aufbau mit betonter Mittelachse. Die Forschung zeigt, wie schon oben dargelegt, dass es sich bei diesem Villentyp um eine besondere Entwicklung der römischen Provinzen handelte, die mit den großen und reich ausgestatteten „italischen“ Villen konkurrieren konnte ( ; ; ). „Verbreitungsschwerpunkte sind nach bisheriger Kenntnis, die sich aber etwa durch die Luftbildarchäologie schnell ändern kann: NO-Frankreich, Trierer Raum und Eifel, N-Schweiz mit S-Baden, W-Schweiz, Pyrenäenvorland“ ( ).
Marcus Porcius CATO, römischer Politiker und Offizier (95 v. Chr. - 12. April 46 v. Chr.), entwarf vor mehr als 2000 Jahren das idealtypische Bauformular eines italischen Gutshofes, einer villa rustica. In den neuen Provinzen avancierte das Bauformular im 1. Jahrhundert als mediterranes Vorbild einer römischen, urbanen Steinarchitektur und löste die gallischen Hofanlagen in Fachwerkbauweise ab (
).Die Vichtener Villa, mit einer vermutenden Gesamtlänge des Kernbaues von mehr als 100 m, reiht sich somit ein in die lange Liste von gallo-römischen Villen dieser Größenordnung auf dem Gebiet des heutigen Luxemburgs: Aspelt, Bartringen, Bous, Contern, Diekirch, Echternach, Mersch, Nospelt, Schieren und Walferdingen-Helmsingen.
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Der aus Kampanien (Italien) stammende römische Architekt VITRUV oder VITRUVIUS, um 75 v. Chr. bis um 15 v. Chr., verfasste Anfang des 1. Jahrhundert n. Chr. das Architekturtraktat „Zehn Bücher über Architektur“. ↩︎
Bibliografie
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