Das lebende Modell
1952H x L: 16.5 x 13 cm
Bei dieser kleinen Gouache handelt es sich um ein Werk des belgischen Surrealisten René Magritte. Nach seinem Studium an der Académie royale des Beaux-Arts (Königliche Akademie der Schönen Künste) in Brüssel wurde er bei seinen Arbeiten zunehmend von den Bestrebungen der Avantgarde (Futurismus, Kubismus, Orphismus, Expressionismus) beeinflusst und entdeckte 1923 die Malerei De Chiricos. Nach und nach näherte er sich surrealistischen Vorstellungen an und trat 1926 in Kontakt zu André Breton und der Pariser Gruppe.
Ab 1933 suchte der Künstler beim Entwerfen seiner Gemälde nach Lösungen für Probleme, die durch Gegenstände aufgeworfen werden. So interessierte er sich beispielsweise für das Problem des Meeres, der Sonne oder der Schuhe. Die Tür ist ebenfalls ein Thema, das er mehrmals − zum ersten Mal in unserem Gemälde − darstellte.
Beim Lebenden Modell (Modèle vivant) des MNHA handelt es sich um eine Gouache, die Magritte 1952 vor einem im darauffolgenden Jahr entstandenen gleichnamigen Ölgemälde schuf. Beide Werke sind sehr ähnlich bis auf einige durchaus bedeutungsvolle Einzelheiten. In der Gouache von 1952 scheinen Tür und Fußboden kurz davor, einzustürzen, als habe ein Erdbeben stattgefunden.
Das Gemälde von 1953 vermittelt hingegen einen Eindruck größerer Stabilität, den Magritte dadurch erreicht, dass er die Dielen des Fußbodens gerade gestaltet, damit Tür und Rahmen − obwohl verformt − solide und beständig erscheinen. Dies verstärkt die Botschaft, dass diese Tür eine Tür ist, durch die man nicht hindurchgehen kann, eine Trennung zwischen dem Gegenstand und seiner Darstellung, einer kraftvollen, sowohl komischen als auch beunruhigenden surrealistischen Erfindung.
Indem der Surrealismus den Sinn von dem als Sinnträger dienenden Gegenstand loslöst, nutzt er die Möglichkeiten des Unbewussten im Rahmen einer Befreiung des Imaginären, die immer wieder zu einer Täuschung des Geistes führt. Magrittes Malerei stellt Fragen über ihr eigenes Wesen und das, was der Maler mit dem Bild tut. Malerei ist nie eine Abbildung eines wirklichen Gegenstandes, sondern das, was das Denken des Malers aus diesem Gegenstand macht.
Die Gouache wurde dem MNHA 1986 von John Roper zum Gedenken an seine Ehefrau Kay Roper „in gratitude for many happy hours spent in the museum“ gestiftet.
Dieses Lebende Modell (Modèle vivant) inspirierte das Künstlerduo Martine Feipel (*1975) und Jean Bechameil (*1964) zu einem zeitgenössischen Werk mit dem Titel Pest und Cholera (Peste et Choléra).
Text | CC BY-NC | Malgorzata Nowara