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„Un petit parmi les grands. Le Luxembourg aux Expositions
universelles de Londres à Shanghai (1851-2010)“ – unsere
Spurensuche
Ulrike Degen und Jean-Luc Mousset
DER AUSGANGSPUNKT
Das individuelle Gedächtnis funktioniert nicht immer tadel-
los … 1992 konnte man beispielsweise in der Tageszeitung
Le Républicain Lorrain vom 15. Mai lesen, dass die Weltaus-
stellung in Sevilla die erste sei, où le Grand-Duché dispose d’un
pavillon qui lui soit
propre.1
Doch schon vierunddreißig Jahre
zuvor hatte Luxemburg in Brüssel 1958 nicht seinen ersten,
aber bislang größten eigenständigen Pavillon errichtet. Ver-
gessen waren auch die architektonisch anspruchsvollen Welt-
ausstellungsgebäude, die das Großherzogtum 1935 in Brüs-
sel und 1937 in Paris präsentiert hatte. Ganz zu schweigen
von Erinnerungen an den allerersten Luxemburger Pavillon
im Jahre 1900.
Auch wenn sich viele andere noch an die Weltausstellung in
Brüssel im Jahre 1958 persönlich erinnern und heutzutage
die Beiträge zu Lissabon 1998 oder Hannover 2000 selbst-
verständlich noch nicht vollständig aus dem kollektiven Ge-
dächtnis verschwunden sind, so war über die ersten Luxem-
burger Beteiligungen im 19. Jahrhundert selbst Historikern
so gut wie nichts mehr geläufig. Dies gilt umso mehr, wenn
für die Luxemburger Aussteller keine eigenständigen Pavil-
lons entstanden. Dem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge
helfen, herausfinden wo, wann und wie, vor allem aber auch,
aus welchen Gründen Luxemburg sich an den Weltausstel-
lungen beteiligte, war das Ziel der 2008 begonnenen For-
schungsarbeit der Abteilung Kunsthandwerk und Volkskunst
des Nationalmuseums für Geschichte und Kunst (MNHA).
Die Ergebnisse sollten nicht nur publiziert, sondern auch
in einer Ausstellung dem breiten Publikum vorgestellt wer-
den (Abb. 1), wozu die Beteiligung Luxemburgs an der Expo
Shanghai 2010 den Anlass bot.
Außerdem besitzt das MNHA in seinen Sammlungen eine
beachtliche Zahl von Kunstgegenständen und eine hufeisen-
förmige Schautafel von beeindruckender Größe, die extra für
Weltausstellungen geschaffen wurden oder zumindest dort
ausgestellt waren. Sie in ihre ursprünglichen historischen
Kontexte zurückzuversetzen, die über die Jahre in den Hin-
tergrund getreten, wenn nicht gar in Vergessenheit geraten
waren, ist ein weiteres wichtiges Anliegen des Forschungs-
projektes gewesen.
Luxemburg kann – wie sich schon bald herausstellen sollte
– auf eine Tradition eigener Beiträge und Pavillons auf den
Weltausstellungen zurückblicken, die ebenso lang ist wie die
Geschichte dieser Ausstellungen selbst. Bereits an der ersten
Great Exhibition of Works of Industry of all Nations in London
1851 nahm das Großherzogtum teil und danach, in regelmä-
ßigen Abständen, aber aus unterschiedlichen Beweggründen,
noch weitere zweiundzwanzig Mal bis zur Weltausstellung
in Shanghai 2010. Die Stationen waren London 1851, Paris
1855, Paris 1867, Philadelphia 1876, Paris 1878, Antwerpen
1885, Paris 1889, Brüssel 1897, Paris 1900, Lüttich 1905,
Brüssel 1910, Gent 1913, Chicago 1933/34, Brüssel 1935,
Paris 1937, New York 1939/40, Brüssel 1958, Seattle 1962,
Sevilla 1992, Hannover 2000 und Shanghai 2010. Zu die-
sen großen Weltausstellungen im engeren Sinn gesellen sich
noch zwei sogenannte internationale Ausstellungen, die aus
Luxemburger Sicht interessant waren: 1925 fand in Paris die
Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes
statt, und 1998 beteiligte sich Luxemburg an der Lissaboner
Expo zum Thema „Die Ozeane – ein Erbe für die Zukunft“.
Die Quellenlage zu den verschiedenen Luxemburger Beiträ-
gen könnte unterschiedlicher nicht sein. Über diese soll im
folgenden kurz berichtet werden.
DIE QUELLENLAGE
Erstaunlicherweise verlangte es oft mehr Einfallsreichtum,
um an Fakten über die Pavillons der jüngeren Vergangen-
heit zu kommen als an Informationen über die Luxembur-
ger Beiträge im 19. Jahrhundert. Vor allem die fünf frühen
Teilnahmen sind anhand umfangreicher, im Laufe der Vor-
bereitungen und Abwicklungen entstandenen Korresponden-
zen, Berichte und anderer Dokumente, die im Luxemburger