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GRAPHIK ALS SPIEGEL DER MALEREI
MEISTERWERKE DER REPRODUKTIONSGRAPHIK
1500-1850
12. Juni bis 20. September 2009
Die Kunstwissenschaft kennt unzählige Werke – in der Öf-
fentlichkeit bestimmt jedoch nur eine Handvoll von Kunst-
werken das Bild von der europäischen Kunstge schichte. Wo-
her kommt diese Widersprüchlichkeit?
Kriterien, die eine derartige Auswahl bestimmen, sind sehr
unterschiedlich. Die Entscheidung über die Aufnahme in
diesen "Kanon" ist von bestimmten Interessen geleitet, die
unabhängig von der künstlerischen Qualität sein können und
oftmals dem Zeitgeschmack oder anderen – auch wirtschaft-
lichen – Kriterien geschuldet sein können.
Ein Faktor ist jedoch immer besonders wichtig: die andau-
ernde Medienpräsenz. Unser Wissen über Kunst steht somit
in unmittelbarem Zusammenhang mit deren Reproduktion.
Schon die frühe Reproduktionsgraphik ermöglichte eine
weite Verbreitung von Bildmotiven aus unterschiedlichen Be-
weggründen und hatte somit entscheidenden Anteil an der
wachsenden Popularität der wiedergegebenen Bilder.
Wollte man sich als kunstinteressierter Zeitgenosse des
17. bis 19. Jahrhunderts über die Werke einzelner Maler oder
gar die Entwicklung der Bildenden Künste informieren, so
hatte man in der Regel dazu nur das Mittel der Druckgra-
phik. Bis zur Erfindung der Photographie war sie das einzi-
ge Medium, mit dem sich Bildinformationen in identischen
Abzügen und hohen Auflagen vervielfältigen und verbreiten
ließen.
Die Erfindung des Bilddrucks löste am Übergang vom Spät-
mittelalter zur Frühen Neuzeit eine wahrhafte Medienrevo-
lution aus, die auch im Bereich der Vermittlung von Kunst
zu weit reichenden Neuerungen führte. Erstmals war es nun
möglich, Werke der Malerei oder Skulptur zu vervielfälti-
gen und so einer breiteren Rezipientenschicht zugänglich zu
machen. Künstler wie Raffael oder Rubens machten davon
reichlich Gebrauch, und das neu entstehende Gewerbe der
Graphikverleger tat das seine, um die Reproduktionsgraphik
schnell zu einem entscheidenden Faktor im Rahmen der
Kommunikation über Kunst werden zu lassen. Mit Recht
lässt sich sagen, dass ohne die Reproduktionsgraphik die
Entwicklung des Faches "Kunstgeschichte" als akademische
Disziplin sowie die der Museen und ihrer Kataloge nicht
möglich gewesen wäre. Sie ist die "Schule des Sehens" der
Frühen Neuzeit.
Doch erst mit den in Sammler- und Gelehrtenkreisen im
18. Jahrhundert heftig geführten Diskussionen um den künst-
lerischen Wert der Druckgraphik offenbarte sich auch theore-
tisch ihre Doppelexistenz als Kommunikations me dium und
Kunst in einem.
Nicolas-Henri Tardieu (1674 -1749) nach Antoine Watteau (1684 -1721)
Die Einschiffung nach Cythera, 1733, Radierung und Kupferstich
John Murphy (um 1748-1820) nach Rembrandt van Rijn (1606-1669)
Das Opfer Abrahams, 1788, Mezzotinto