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Empreintes
2009
so an einer Statue in der Villa Doria Pamphili
11
(Abb. 4) – oder
sich auf seiner Brust balgen. Möglicherweise also gab es un-
ter den gemalten Wiedergaben noch zusätzliche Varianten,
die uns von den erhaltenen Statuen nicht bekannt sind. Philo-
strat erwähnt auch Ellen, die mit Sistren auf die Schultern
der anderen krabbeln. Von Musikinstrumenten ist bei unse-
rem Beispiel allerdings nichts zu erkennen.
Charakteristisch an der Luxemburger Gruppe ist die Kombi-
nation von stehendem Kind unten, das den auf ihm knienden
Knaben mit einer Hand abstützt, während jener mit seiner
Rechten Halt zu suchen scheint (Abb. 2 a-d). Ein solches Motiv
begegnet in einer etwas anderen Ausprägung an der Statue
eines sitzenden älteren Mannes aus Kynopolis in Oberägyp-
ten, der durch die Beifiguren, aber auch die Wiedergabe ei-
nes Nilpferds als Bild des Nil ausgewiesen wird 12. An dieser
Statue aus Ägypten ist das Motiv inhaltlich motiviert, denn
der oben kniende Knabe versucht den Wasserstand an dem
Nilometer zu fixieren. Eine vergleichbare Szene ist von einer
spätantiken Silberschale aus Südrussland mit einer kleinen
Variante bekannt. Dort stützt sich der untere Knabe mit den
Händen auf dem Boden, so dass sein Rücken eine Art Podest
für den Knaben über ihm bildet 13. Eine Interpretation dieser
Art kommt aber bei unserer Gruppe nicht in Frage, da die
kniende Figur nur die linke Hand frei hat und mit ihr den
Pegel kaum festlegen kann.
Dass die Figuren der Ellen an dem Luxemburger Fragment
nicht etwa für sich stehen, sondern einem Körper zugeordnet
sind, macht der weiche runde Teil klar, gegen den die untere
Figur lehnt und auf dem die obere kniet (Abb. 2 b, c). Aller-
dings handelt es sich um spärliche Reste, die keine sichere
Aussage darüber zulassen, was damit ursprünglich bezeich-
net war und wie die Komposition insgesamt zu verstehen ist.
Vom Typus her kommen zwei Möglichkeiten in Betracht,
die Figur eines sitzenden oder eines liegenden Flussgottes.
Bei einem Sitzbild käme nach den erhaltenen Beispielen die
Schulter oder eine Position neben dem Thron in Frage. Beide
fallen aber aus, da dem erhaltenen Teil für eine Schulter die
notwendige Tiefe abgeht, für eine Position neben dem Thron
die Grundlage für die beiden Ellen überhaupt keine Erklä-
rung findet. An den liegenden Figuren des Nil sind verschie-
dene Gruppierungen der Ellen zu beobachten, die in ähnli-
cher Form immer wiederkehren 14.
Unsere Gruppe ist darunter allerdings nicht vertreten. Da es
sich bei dem stark fragmentierten Träger der beiden Kinder
mit Sicherheit nicht um eines der Attribute des Flussgottes wie
Sphinx, Nilpferd oder Füllhorn gehandelt hat, ist an einen Teil
des Armes oder des Beines zu denken. Unter diesen Alterna-
tiven bietet sich lediglich der rechte Arm als Möglichkeit an.
Man darf also in den Resten den erhobenen Unterarm und
den Ansatz des Handrückens sehen, gegen den sich die an-
gelehnte Figur der Elle lehnt. Deren Füße standen bei einer
derartigen Rekonstruktion auf dem linken, angewinkelten
Bein des Nil. Die zweite Elle kniet dann auf der Oberkan-
te des Handrückens, an dem der Daumen schon nicht mehr
erhalten ist.
In der Konsequenz sind die beiden röhrenförmigen Reste
neben der angelehnten Figur des Kindes als Unterschenkel
einer weiteren Figur einer Elle zu verstehen (Abb. 2 a), die
nach oben steigt. Das wird auch aus dem Umriss der oberen
Bruchstelle deutlich, auf deren Rückseite eine Bohrung zu
sehen ist, um den Übergang zu den Oberschenkeln zu mar-
kieren. Für den Rest eines Gewandes oder gar eines Schilf-
stängels sind die Teile im Vergleich zu den üblichen Propor-
tionen jedenfalls zu stark dimensioniert. Die Enden eines
Füllhorns kommen nicht in Frage, denn in diesem Fall hätte
es sich um ein Doppelfüllhorn gehandelt, was für Flussgötter
jedoch nicht bezeugt ist.
Als Gruppe dreier Kinder würde die Anordnung hingegen
gut veranschaulichen, dass die Knaben versuchen, über-
einander empor zu steigen, und sich dabei gegenseitig helfen
und abstützen. Position und Anordnung kann man sich am
ehesten an der bekannten Figur des Nil aus dem Iseum Cam-
panese klar machen, die heute im Braccio Nuovo der Vatika-
nischen Museen ausgestellt ist (Abb. 3) 15. Dort ist stärker das
Moment des Emporkletterns thematisiert, während an dem
Fragment in Luxemburg die Figuren gleichsam schon ihre
Position eingenommen haben.
Die Kenntnisse der Errichtung und der Ausstattung der Villa
von Mersch
16
helfen kaum, die Datierung des Fragmentes
einzugrenzen. Das Bildwerk lässt sich nur aus seinen stilisti-
schen Eigenheiten zeitlich einordnen. Den Eindruck bestim-
men zwei Eigenarten. Das eine ist die vergleichsweise feine
und virtuose Bearbeitung der Oberfläche, wie sie an dem
stehenden Knaben zu erkennen ist. Das andere ist die rei-
che und dabei auch bisweilen unmotiviert wirkende Verwen-
dung des Bohrers wiederum an der stehenden, aber auch an
den übrigen Figuren. Bohrungen werden – vom Bauchnabel
11
KLEMENTA a.o. (Anm. 9) 30-31 Nr. A 19 Taf. 16.
12
A. ADRIANI, Repertorio d’arte dell’Egitto Greco-Romano A 2 (Palermo 1961)
57-58 Nr. 200 Taf. 95 Abb. 313; A. ADRIANI, Lezione sull’arte Alessandrina
(Neapel 1972) 191 Taf. 62, 3.
13
ADRIANI, LEZIoNE a.o. (Anm. 12) 190-191 Abb. 5 Taf. 62,1.
14
LIMC VI 1 (1992) 720-726 s.v. NEILoS (M.-o. JENTEL); KLEMENTA a.o.
(Anm. 9) 9-51.
15
oben Anm. 10.
16
THILL a.o. (Anm. 5).