Full text: Empreintes 01

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Empreintes 
2008 
dann fiel damals in Paris eine Vorentscheidung, die Europas 
Geschichte bis tief in das 20. Jahrhundert beschäftigen soll- 
te. Denn während Katharina vorzeitig (noch 1378) starb und 
eine weitere Verbindung zwischen Valois und Anjou nicht 
realisiert wurde, heiratete Sigismund seine Maria, übernahm 
tatsächlich seines Schwiegervaters Erbe (wenn Polen auch 
mit dessen jüngster Tochter Hedwig an den Litauerfürsten 
Jagiello fiel), wurde zwar Kaiser, seines Vaters drittnächster 
Nachfolger, starb aber seinerseits unter Hinterlassung nur 
einer Tochter, Elisabeth. Und diese brachte ihrem Gemahl, 
Albrecht von Österreich, beide Königskronen mit in die Ehe ; 
die Kurfürsten wählten ihn schließlich zum römischen Kö- 
nig. Österreich, Ungarn, Böhmen samt der römischen Krone 
– es war, auch wenn diese Trias noch einmal zerfiel, wie eine 
Verheißung jenes Habsburger Reiches, das bis zum Jahr 1919 
dauern sollte und dann die Idee des Nationalstaats und der 
Erste Weltkrieg zerbrachen. 
Nun also begegneten der alte Kaiser, begleitet von seinem 
Sohn, dem schon zum „König der Römer“ gekrönten Wen- 
zel, und der junge Roy lettré, sein Neffe, im Herzen Frank- 
reichs einander. Zwei Karlstraditionen, die dynastische 
und die imperiale, trafen da zusammen. Sie evozierten eine 
grandiose Vergangenheit. Und mehr noch : Zum ersten Mal 
begegneten ein Kaiser und ein römischer König dem König 
Frankreichs in dessen eigenem Land, besuchte ihn in dessen 
Herrschaftszentrum, dort, wo dessen Macht sich auf einzig- 
artigem Gipfel zeigte, wo sie in unantastbarer Heiligkeit am 
dichtesten und eindringlichsten ausgestaltet sich offenbarte, 
traf ihn im Herzen des Königtums. Kein „Sohn des Him- 
mels“, kein Großkhan, kein Tenno, kein römischer Caesar, 
kein persischer Großkönig, kein Pharao hatte je solche Begeg- 
nung geduldet. Dieses Kaisertum hatte Abschied genommen 
von allen Weltherrschaftsträumen, hatte endgültig gebrochen 
mit den Weltkaiser-Doktrinen, wie sie am Hof der Staufer 
und zuletzt noch Ludwigs des Bayern kursierten. Nüchterne 
Realität war an die Stelle illusionärer Theoreme getreten. 
Es war eines der frühesten Treffen dieser Art. Frühere Kö- 
nigstreffen – von Sonderfällen abgesehen – kennzeichneten 
Mißtrauen oder zwingende Übermacht des einen über den 
anderen. Herrschte jenes, trafen sich die Herrscher genau an 
oder auf der Grenze ihrer Reiche, peinlich darauf bedacht, 
sich keiner Gefahr für Leib und Leben auszusetzen, dem 
anderen keinen Schritt zu weit entgegenzukommen, ihm im 
Ritual keine Gelegenheit zu einer demütigenden Geste der 
Überordnung, des Triumphes zu gestatten. Lagen Abhängig- 
keit oder Unterwerfung, gar ein Klientelverhältnis vor, wur- 
den sie rituell mit dem Besuch des Unterlegenen beim Sieger 
manifestiert. Jetzt aber brach der Luxemburger mit sinnent- 
leerten Traditionen, zog aus freien Stücken und ohne Not 
nach Frankreich, so wie er sich schon anderthalb Jahrzehnte 
zuvor, im Jahr 1364, an den Hof des polnischen Königs Ka- 
simir III. nach Krakau begeben, sich dort auch mit Ludwig 
von Ungarn getroffen hatte, um einen Friedensvertrag zu 
schließen und Nachfolgefragen zu erörtern. 
Das Zeremoniell des Pariser Gipfeltreffens wahrte beider 
Fürsten Rang. Der „römische“ Karl sah sich als Kaiser 
gewürdigt, als Gast geehrt, aber nicht als Weltherrscher, 
nicht wie der Souverän des Landes empfangen. Augenfällig 
wurde das alles durch einen Pferdewechsel. Zunächst ritten 
Imperator und Rex Romanorum, wie es ihnen gebührte, auf 
Schimmeln, die – anders als in ihrem eigenen Reich – weder 
Schabracken noch Kaiser- oder Reichswappen zierten ; dann 
aber, kurz vor Paris, vor der Begegnung mit Frankreichs Kö- 
nig, dem Souverän des Landes, bestiegen Karl und Wenzel 
Rappen, denen die Schabracken des französischen Königs 
und des Dauphin übergeworfen waren. Spezifisch kaiserliche 
Symbol- oder Rechtsakte – wie etwa das Glockengeläut zum 
Einzug in eine Stadt – waren den Gästen auf dem Boden 
des Königreichs versagt ; der Kaiser nahm es hin und ver- 
zichtete auf jegliche imperiale Geste. Der Herr des Landes, 
nicht etwa der Caesar, ritt nach der Begrüßung durch Hand- 
schlag in der Mitte, zwischen den römischen Majestäten, 
den Kaiser zu seiner Rechten, den jungen König zur Linken. 
Der Luxemburger respektierte die „religion royale“, in deren 
Rituale er zweifellos seit seiner Jugend eingeweiht war. Der 
Besuch und sein Zeremoniell erschienen als eine Geste wech- 
selseitiger Freundschaft, nicht des Anspruchs, als ein Ritual 
gleicher Souveränität, keiner Über- oder Unterordnung. Die 
Buchmaler und unter ihnen kein geringerer als Jean Fouquet 
haben es wiederholt illuminiert, zum Gedächtnis für alle Zeit 
und zum Vorbild für kommende Könige – eine prachtvolle 
Inkunabel europäischer Diplomatie. 
Die Lösung war so neu wie epochemachend. Dem Herr- 
schertreffen in Paris folgte mit der Zeit eine schier endlose 
Reihe von Staatsbesuchen bis in unsere Tage. Die Rituale 
mochten wechseln, die ritualisierten Gemeinschaft der Sou- 
veräne, wie sie damals, im Jahr 1377/78, ausgestaltet worden 
war, wurde ein unverwechselbares Zeichen für die Gleichheit 
und Gleichrangigkeit und für das einigende Band aller euro- 
päischen Nationen, das sich dann im Prozeß der Globalisie- 
rung um die Vereinten Nationen der ganzen Erde schlang.<  
	        
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