Full text: Alfred Manessier

Urhebers und so gibt sie Zeugnis zugleich von der geistigen Fähigkeit des Menschen und dem geistigen Wesen der Welt wie 
von Gott. 
Wenn sie das tut und wenn Manessier es vollbringt, dann darum, weil diese Malerei und weil Manessier Liebe ist. Liebe, das 
bedeutet Anteilnahme, aber auch Forderung, Angst, und gar Gewalt. So erklärt es sich, daß Manessier Anhänger unserer 
Zeitgenössischkeit ist, des brutalen Dynamismus dieser Zeit, der leidenschaftlich den Weg auch dicht am Abgrund sucht. Ein 
ganzer Teil unseres Lebens findet sein Echo in einem Teil seines Werkes. Aber dieses Anhängen ist nicht ohne Besorgnis, 
sogar nicht ohne Unwille: beispielsweise diese Kriege, die in Lustren unaufhörlich unsere arme Menschheit verwüsten, 
sie sehen ihn als den gleichen Trauernden und Revoltierenden, die Israels Propheten angesichts der Kriege ihrer Zeit gewesen 
sind. Hüten wir uns davor, gegenüber dem Klagelied taub zu sein, das aus dem Frieden seines Werkes klingt. Ist es auch 
weniger ein Furioso als jenes andere, von dem das Werk von Rouault erbebt, so ergreift es uns darum nicht weniger. Es ist 
die Klage einer gequálten Seele, die nicht auf das Bose hin resignicren kann, weil sie ja doch gerade Liebe ist und die Liebe 
stets vom Bósen verwundet oder geleugnet wird. 
Liebe. Manessier malt aus Liebe, die auch die technische Seite seiner Kunst einschlieBt. Die Liebe zu dem, was an der Kunst 
Handwerk ist, gehört in unseren Tagen nicht mehr zum guten Ton. Auch auf dieser Domäne weiß unsere Zeit, die so viel 
von Liebe spricht, nicht mehr, was lieben heißt. Im Gegensatz — glücklicherweise — zu so vielen unserer Zeitgenossen liebt 
Manessier die Farben und die Formen, die Malmaterie und das zärtliche Mann gegen Mann des Malers mit seinem Werke. 
Seine Leinwände sind mit einer verliebten Sorgfalt gemalt; ihr Korn ist gehegt, der Farbbrei dicht. Das zeugt von einer 
weiteren Liebe — auch einer, die der Hast unserer frenetischen Zeit fremd ist — der bescheidenen Liebe zur Zeitdauer. 
„Es bedarf der Weisheit, um die Zeit mitspielen zu lassen. Ich habe es nicht eilig*, so sagte er einmal. Das war zu wenig 
gesagt, denn bei seiner Unterwerfung unter eine Zeit, von der er weiß, daß der Mensch sie als eine der Grundgegebenheiten 
seiner Existenz hinnehmen muß, handelt es sich sehr wohl um etwas anderes als die Haltung eines Weisen, der vor dem 
Unvermeidlichen resigniert: hier geht es um die Dankbarkeit, um die Inbrunst, mit der er das Geschenk annimmt; denn er 
weiß, daß auch diese Gegebenheit geschenkt ist. 
Liebe aus seiner Stellung als Handwerker, Liebe aus dem Gebrauch, den er von der Dauer macht. Liebe aber auch noch ist 
dieses Oeuvre durch die Leidenschaft zur EntáuBerung, zur Askese, zur Demütigung und zur Vollkommenheit. Nichts darin, 
was nicht nótig ware. Kein einziges Bravourstück. Weder Gefálligkeit noch Leichtigkeit. Mit seiner Abscheu vor Effekten steht 
das Oeuvre in jener Tradition, die vor allem anderen Authentizitát franzósischer Malerei besitzt. Die Selbstkontrolle spricht 
hier weniger von einem ehrgeizigen Bedürfnis, über sich selbst zu herrschen, als von der inneren Notwendigkeit spiritueller 
Disziplin. 
Sinnlichkeit, Sensibilität, Imagination, die bei ihm nicht im geringsten fehlen, dienen hier weniger der Intelligenz und dem 
Willen als dem Bedürfnis — wie es jeder Liebe innewohnt —, sich dem Verlangen nach dem Absoluten unterzuordnen, dem 
einzigen, was ihn unterwerfen kann. So ist die Askese, welche diese Malerei beseelt, ganz das Gegenteil von stoischer 
Gymnastik. Sie bleibt frei von jeder Anstrengung. Sie ist die natürliche Folge, die Entfaltung, ja das Aufblühen einer intimen 
Sehnsucht, die ihre Wahrheit, ihr Vergnügen und ihr Lächeln nur in der MáBigkeit finden kann; sie ist die stumme Dichte einer 
Malerei, die im Innen bleibt, die Vertiefung in der Glut ihrer Erfahrungen und ihrer GewiBheiten. Nichts Ostentatives ist darin, 
kein Ehrgeiz, beispielhaft zu sein, und kein provozierender Trotz. Es fehlt das Geschraubte, es fehlt der Stolz. Alles bleibt 
vollkommen natürlich. Das Werk und die Bescheidenheit sind eins. Diese Kunst ist so, weil sie nicht anders sein kann. Der 
Drang zur Vollkommenheit verpflichtet ihren Urheber, das zu sein, was er ist, und es auf die einfachste Weise zu sein; mit 
dieser Wohligkeit, diesem einen Ton, diesem Akzent geheimer Notwendigkeit, die zu den groBen klassischen Schópfungen 
gehóren und sie ausmachen. Aber sind das nicht auch und gerade die Forderungen der Liebe, die unbezwingbar die Harmonie. 
die Einheit und die Fülle erstrebt? 
Und auch erstrebt, über sich hinauszugehen. ,,Die Liebe will immer höher hinaus‘, heißt es bei dem Verfasser der Imitatio. 
So erklärt sich, daB es bei Manessier im Gegensatz zu vielen — zu allzu vielen — unserer Zeitgenossen, die ihren Stil, 
nachdem sie ihn gefunden haben, bis zum ÜberdruB wiederholen und aus einer Wahrheit ein Verfahren machen, niemals eine 
Formel gibt, in die er sich verkapselt. Nicht so, daB er wie ein Picasso alles unaufhórlich in Frage stellte. Sein Gesetz lautet 
im Gegenteil, stets auf seinem Wege vorwárts zu schreiten — auch wenn es mit einem einzigen Schritt geschehen muB — 
und alle Erfahrungen dabei zu verwerten. So kommt er dem ersehnten Absoluten náher. So daB dieser Mann aus dem Norden, 
gewöhnt an seine klaren feuchten Farben, aus der Provence und aus Spanien die ,,unermeflichen, einfachen, lebendigen, von 
Licht und Raum erfüllten Linien‘ macht und in der Nacht, die „in der Gegend von Valence Staunen erregt“, alles „farbig 
und leuchtend“ sieht. Die Palette wird reicher, die Zeichnung meisterhaft. In einem einzigen Schwung hat er sich zur höchsten 
Vollendung seiner Kunst erhoben und sich damit zugleich noch fähiger gemacht, seinen ewigen Vorsatz zu verwirklichen, den 
er folgendermaßen in Worte gefaßt hat: „Ich will zugleich die Frenesie meines Jahrhunderts ausdrücken wie das Licht der 
Hoffnung, von dem ich glaube, daß ich einer seiner Trager bin.“ Damit schenkt uns seine Liebe das Schönste, für das wir nie 
genug Dank wissen werden. Bernard Dorival 
Deutsch von C. Schweicher
	        
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