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N°II 2025   MuseoMag 
FORSCHUNG 
EINE FREUNDLICHE EINLADUNG 
Neugierig geworden, griff ich zum Telefon. Die Ver- 
mutung bestätigte sich, und es wurde großzügiger- 
weise ein Treffen vereinbart, schon in der drauf- 
folgenden Woche. Ich konnte die Figurengruppe 
„Der Raub der Europa“, deren Material und Technik 
im Katalog mit „céramique craquelée“ angegeben 
wurde, genau betrachten. Sie ist in der Ausführung 
identisch mit der erwähnten Plastik „Don Quichotte 
und Sancho Panza“ des Museums, sie wurde laut 
Aufschrift ebenfalls in der Auflagenhöhe von fünf- 
zehn Exemplaren produziert und sie weist die 
gleiche Art der Signatur auf. Somit kann bestätigt 
werden, dass es sich um eine Steingutfigur handelt, 
die Leon Nosbusch im Auftrag des Verlagshauses 
Nerva entworfen hatte und die in der belgischen 
Steingutmanufaktur La Céramique Montoise herge- 
stellt wurde. Insbesondere die Signatur samt Serien- 
nummer, die erst nach Fertigstellung der Werke von 
den Künstlern als eine Art Qualitätsgarantie aufge- 
tragen wurde, erlaubt diese Zuschreibung. 
Stilistisch passt die Figur der Europa auf dem ge- 
flügelten Stier zu Nosbuschs Werken dieser Zeit. 
Die Darstellung des weiblichen Akts auf dem davon- 
eilenden Stier wirkt fast naturalistisch, während der 
Sockel sich aus geometrischen Formen zusammen- 
setzt, die Meereswellen allenfalls andeuten. Deutlich 
geometrischer als die Körper wirken zudem die 
Flügel des Stiers und Europas Haare. Die griechische 
Mythologie erzählt die Geschichte des Götterkönigs 
Zeus, der sich in Europa verliebt und sich in einen 
Stier verwandelt, um sie auf seinem Rücken übers 
Meer nach Kreta zu bringen, wo er ihr schließlich 
seine wahre Identität offenbart. Nosbusch interpre- 
tiert die Erzählung nicht als Raub, vielmehr scheint 
sich Europa freiwillig, verliebt an das Tier geschmiegt, 
auf die Reise zu begeben. Die Flügel, die in ande- 
ren Darstellungen des Themas eher selten zu finden 
sind, und die nach vorn und nach oben strebende 
Bewegung von Europa und Zeus verleihen der Figur 
eine beeindruckende Dynamik, die charakteristisch 
für den Art déco-Stil ist. 
MEHR ALS ERWARTET 
Die Entdeckung der Figurengruppe sollte nicht die 
einzige Überraschung bleiben, vielmehr wartete bei 
meinen Gastgebern eine weitere auf mich. Denn 
tatsächlich konnte ich noch eine andere Wissens- 
lücke schließen. Bei meinem Beitrag über Léon 
Nosbusch in der Publikation „Art déco au Luxem- 
bourg“, die 2021 vom Nationalmuseum veröffentlicht 
wurde und durch den die Eigentümer der Plastik auf 
mich aufmerksam geworden waren, handelt es sich 
um den Versuch einer Bestandsaufnahme seiner 
Art déco-Keramiken. Anhand einiger Zeitungsartikel, 
die zu seinen Lebzeiten erschienen waren, anhand