42 Während der Notgrabungen in der gallorömischen Siedlung von Mamer-Bertrange (DÖVENER 2011: 109) wurden im Juli 2010 und im April 2011 die Reste von zwei außerge- wöhnlichen, in Luxemburg bislang einzigartigen Keramikge- fäßen gefunden. Es handelt sich dabei um einen mit figür- licher (?) Bemalung verzierten, konischen Becher mit zwei Henkeln und einen mit sogenanntem Goldglimmerüberzug bedeckten Topf mit phallusförmigen Ausguß1. Da von bei- den Stücken nur wenige Fragmente fehlten, konnten sie wie- der zusammengefügt und ergänzt werden2. DER DOPPELHENKELBECHER (Abb. 1 – Abb. 3) Der zerscherbte Doppelhenkelbecher lag oberhalb der Brand- versturzschicht eines römischen Kellers (Südostbereich von Keller 2), die durch ein Schadensfeuer um 250 n. Chr. ent- standen ist3. Der etwas geneigt stehende, konische Becher ist 13,1 cm hoch, der maximale Durchmesser seiner Lippe beträgt 14,4 cm. Der leicht gewölbte Becherboden ist nur teil- weise erhalten. Der Becher faßte – bis knapp unter den Rand gefüllt – einst ca. 900 ml Flüssigkeit4. Das Eigengewicht des Bechers liegt aktuell, d.h. im restaurierten, nicht ganz kom- pletten Zustand, bei ca. 500 g, so daß er gefüllt also knapp 1,5 kg gewogen haben wird. Dieses Gewicht allein läßt die Anbringung eines zweiten Henkels sinnvoll erscheinen. Das Gefäß ist aus blaßrotem, fein geschlämmtem Ton ge- macht, in dem keine größeren Magerungspartikel zu erken- nen sind. Die Außenwand wurde durch breite, eingedrehte Rillen unter dem Henkel, in der Gefäßmitte und oberhalb des Bodens untergegliedert. Danach wurden die beiden stabför- migen Henkel angebracht; das Glattstreichen ihrer Ansatz- stellen hinterließ auf der Oberfläche Tonreste und Fingerab- drücke. Anschließend wurde der Becher mit einer dünnen, weißlichen Engobe bedeckt. Der ca. 2 cm breite, weißliche Rand auf der Innenseite der Lippe legt nahe, daß der Becher z.B. mit der Öffnung nach unten in eine Schale voller Engobe getaucht worden sein könnte. Die teils senkrechten, teils ho- rizontalen Farbnasen unter diesem Rand sowie die Farbsprit- zer im Gefäß wären dann durch eine zügige Drehbewegung beim Herausnehmen aus der Engobe zu erklären. Über die Außenwand des Bechers wurden mit schwung- vollem, aber ungleichmäßigem Pinselstrich wellenförmige Linien und längliche Kleckse in gelbroter Farbe aufgemalt (Abb. 2 und Abb. 3). Dieses Dekor erinnert an Schlangen oder Drachen. Ob diese Assoziation gewollt war und das Gefäß eventuell einen kultischen Charakter hatte, kann jedoch nicht geklärt werden: zu groß sind die Unterschiede zu „schlan- gentragenden“ Krateren, bei welchen die meist plastisch aus- geformten Tiere am höchsten Punkt der Kultgefäße bzw. an den Henkeln zu finden sind (PFAHL, THIEL 2006/2007: 44 f.; BRAITHWAITE 2007: 481-487). Sicherlich handelt es sich in unserem Fall aber auch nicht um eine „alltägliche“ Verzierung. Die Form des Mamerer Doppelhenkelbechers ist ungewöhn- lich: fußlose, als umgedrehter Kegelstumpf gestaltete Gefäße kommen sonst bei Hohlmaßbehältern (Modius) oder bei Bron- zeeimern vor5. Entfernt ähnlich ist ein „zylindrischer Topf mit zwei Henkeln“ (Gellep 753), der auf henkellose Sigillata- oder auf Metallgefäße zurückgeführt wird (PIRLING, SIE- Zwei außergewöhnliche Keramikgefäße aus dem Vicus von Mamer-Bertrange Franziska Dövener 1 Inventarnummer 2009-63/322B und Inventarnummer 2009-63/651. 2 Diese Aufgabe erledigten die MNHA-Restauratoren Dinko Baez und Sonja Roef mit Bravour. – Die Fotos der beiden Gefäße stammen von Tom Lucas und Ben Muller (beide MNHA); die Zeichnungen fertigte Martina Diederich (Trier) an. 3 Diese Datierung erfolgte nach der Schlußmünze unter der Brandversturzschicht (Antoninian des Philippus Arabs, RIC 58). Die jüngste Münze aus der Mauer- Versturzschicht bzw. der Planierschicht darüber ist eine numismatisch noch nicht genau bestimmte Münze des Gallischen Sonderreichs. Aus dieser Schicht (2. Planum) stammt der Doppelhenkelbecher sowie eine noch nicht lokalisier- te, „geflammte“ Ware. Im Gegensatz zur übrigen Grabungsfläche fehlen hier Münzen der constantinischen Zeit. 4 Das entspräche etwa 20 Cyathi (zu 45,185 ml). Heike Pösche (Köln) half bei der Bestimmung des Volumens. 5 Z. B. der konische Bronzeeimer Typus 36 aus Himlingøje (DK), welcher der jüngeren Kaiserzeit (Stufe C) zugerechnet wird (EGGERS 1951: 57 und 70 f., Taf. 5,36 sowie Karte 18).