48 Der jüngst von Jutta Zerres veröffentlichte beinerne Aug- apfel, welcher 1979 unweit des Xantener Hafentempels ge- funden wurde 1, veranlaßt uns, ein vergleichbares Objekt aus dem Umfeld des großen Podiumstempels 2 im Dalheimer Tempelbezirk nun ebenfalls vorzustellen. Ein weiterer Aug- apfel dieser Art kam vor einigen Jahren während der Aus- grabungen beim Merkur-Heiligtum auf dem Puy-de-Dôme (Massif Central, F) zutage 3. Bei dem Dalheimer Fundstück handelt es sich um den rech- ten Augapfel (Abb. 1-2) 4 einer einst vermutlich lebensgroßen oder etwas überlebensgroßen Bronzestatue. Er ist 3,3 cm breit, maximal 1,2 cm hoch, 2,1 cm tief und besteht aus glatt- poliertem Elfenbein 5. Die Oberfläche weist zahlreiche klei- ne Kratzer, Verfärbungen und, vor allem am Rand der Iris, mehrere Bestoßungen auf. Auf der Unter- und Oberseite sind Schleifspuren erkennbar. In der Seitenansicht ist das Objekt keilförmig (Abb. 1c, 2), so dass es gut in die Augenhöhle einer Statue eingepaßt werden konnte. Auf seiner Schauseite ist das Auge naturalistisch gestaltet: von länglich ovaler Form, mit leicht konvexer Wölbung und spitzen Winkeln. Es fehlt jedoch der Ansatz der Karunkel im inneren Augenwinkel. Die große Iris ist lediglich als runde, 1,4 cm breite und maxi- mal 5 mm tiefe Aussparung mit aufgerauhter Rückwand erhalten, die Pupille fehlt ganz; beide waren offensichtlich aus einem anderen Material gefertigt. Hierfür kämen zum Beispiel farbige Glaspasten oder Edelsteine in Frage 6. Die Iris war, wie die Aussparung deutlich zeigt, nicht völlig kreis- rund: An ihrer Oberseite fehlt ein Abschnitt. Dies erklärt sich mit Sicherheit durch das darüber ansetzende Augenlid der Statue, dessen (aus Bronze- oder Silberblech gefertigte?) Wimpern das Auge teilweise beschatteten. Farbige Augäpfel aus Bein wurden – eingefaßt von Wimpern- blechen – in die beim Guß offen gelassenen Augenhöhlen montiert. Die Anfertigung von Augen aus anderem Materi- al geht u.a. auf die Bronzebildhauer des archaischen Grie- chenland zurück 7. In Rom kam dieser sehr aufwendige, aber höchst veristische Effekt vor allem ab der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit zum Einsatz. Spätestens ab ha- drianischer Zeit verzichtete man jedoch wieder auf diese Ge- staltungsoption 8. Dadurch ergibt sich für Fundstücke wie die Augäpfel aus Xanten, Dalheim und vom Puy-de-Dôme ein Datierungsansatz. Der Augapfel aus Dalheim stammt der Verfüllung einer gro- ßen Grube an der südöstlichen Ecke des großen Podiumstem- pels (Abb. 3, Tempel D) 9. Westlich davon befand sich ein zweiter Auge um Auge… Ein seltenes Fundstück aus dem Tempelbezirk des römischen Vicus in Dalheim Franziska Dövener 1 J. zERREs, Aus den Augen verloren. Ein bemerkenswerter Beinfund aus dem Gebiet der Colonia Ulpia Traiana (Xanten), Archäologisches Korrespondenzblatt 40, 2010, 243-249. 2 zum Dalheimer Tempelbezirk siehe: R. WAGNER, Archäologischer Rundgang um Dalheim, Luxemburg 1991, 46-57. – J. KRiER, Neue zeugnisse der Götterverehrung aus dem römischen Vicus Dalheim, Hémecht 44, 1992, 55-82, hier: 57-59. – C. oELsCHLÄGEL, Die Tierknochen aus dem Tempelbezirk des römischen Vicus in Dalheim (Luxemburg), Dossiers d’archéologie du Musée national d’histoire et d’art Viii, Luxemburg 2006, 14-24. 3 P. MENiEL, Un dépôt de pieds de porcs dans le sanctuaire de Mercure au som- met du Puy de Dôme, L’Archéologue, Archéologie Nouvelle 82, Février-Mars 2006, 49-50. – zusätzliche informationen zu diesem Fundobjekt konnten leider nicht in Erfahrung gebracht werden. 4 MNHA inv. 1994-101/084. 5 Die Materialbestimmung erfolgte durch den Restaurator Rainer Fischer (MNHA). – Die zeichnung des Augapfels wurde von M. Diederich (Trier) angefertigt. – Für Fotos, graphische Hilfen und wertvolle Hinweise danke ich T. Lucas, F. Valotteau und J. Krier (MNHA). 6 siehe hierzu: zERREs a.o. 245 sowie G. LAHUsEN, E. FoRMiGLi, Der Augustus von Meroë und die Augen der römischen Bronzebildnisse, Archäologischer Anzeiger 108, 1993, 662 mit Abb. 15-19. 7 Farbig eingelegte Augen finden sich aber bereits im alten Ägypten oder in Mesopotamien, so z.B. bei der sitzstatue des Verwalters Ebih-il aus Mari (um 2400 v. Chr.). 8 zu Technik und Datierung siehe: zERREs a.o. 245-248 mit zahlreicher wei- terführender Literatur. – LAHUsEN, FoRMiGLi a.o. 670-671. – DiEs., Römi sche Bildnisse aus Bronze. Kunst und Technik, München 2001. – C. BRUNNENGRÄBER, zur Herstellungstechnik der Ruderkastenbeschläge, in: G. HELLENKEMPER sALiEs, H.-H. VoN PRiTTWiTz UND GAFFRoN, G. BAUCHHENss (Hrsg.), Das Wrack. Der antike schiffsfund von Mahdia, Ausstellungskatalog des Rheinischen Landesmuseums Bonn, Band 2, Köln 1994, 1007-1008. – Außerdem zur Bronzebildhauerei und den zugehörigen rö- mischen schriftquellen: LAHUsEN, FoRMiGLi, Römische Bildnisse a.o. 9-16. 9 Fundkomplex 94-3/9.