120 Europa auf der Suche nach sich selbst. Von Karl IV. bis zur modernen Verfassungsdiskussion Die Luxemburger, das Heilige Römische Reich und Europa Johannes Fried Professor Dr. Johannes Fried, Ordinarius für Mittelalterliche Ge- schichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, hat den nachfolgenden Festvortrag am 22. März 2007 im Nationalmuseum für Geschichte und Kunst gehalten. Anlass war der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträ- ge. Die von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland aus- gerichtete Veranstaltung fand unter der Schirmherrschaft Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs im Rahmen des Kulturellen Rahmenprogramms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft statt. Das Thema, das hier zur Sprache kommen soll, ist zu um- fassend, als daß es in der zur Verfügung stehenden Zeit an- gemessen behandelt werden könnte. So bleibt nur der Rekurs auf wenige charakteristische Episoden, welche die entschei- denden europäischen Weichenstellungen verdeutlichen kön- nen, die dem Luxemburger Herrscherhaus und zumal Kaiser Karl IV. verdankt werden. Er war einer der großen europä- ischen Herrscher und machte seinem Karls-Namen alle Ehre. Nach einer knappen Skizze der Grundvoraussetzungen der fraglichen Epoche wenden wir uns der Vorbildlichkeit Frank- reichs für die Könige aus dem Haus der Luxemburger, sodann der frühen Renaissance im Umfeld Karls IV., endlich dessen für das künftige diplomatische Zeremonielle entscheidende Begegnung mit seinem Neffen, Karl V. von Frankreich, im Jahr 1378 zu. Die Geschichte begann, wie könnte es anders sein, lange be- vor die Grafen von Luxemburg Königs- und Kaiserkronen erlangten ; und sie führte von Anfang an über die Reichsgren- zen hinaus. Die Korrosion und endlich der völlige Zusam- menbruch der staufischen Kaisermacht im 13. Jahrhundert und mit ihr des Königtums in Deutschland bescherten ein Machtvakuum in Europas Mitte, das mehr und mehr die Territorialfürsten auszufüllen begannen, und das die Ge- wichte entscheidend verlagerte. Das Fehlen der Kaisergewalt im Reich beschleunigte nördlich der Alpen die Auflösung, während südlich der Berge sich niemand mehr gegen die Städte, die Volkskapitane, Condottieri und Gewaltherrscher durchzusetzen vermochte, deren Erfolgsbedingungen später Machiavelli so treffend analysierte. Jegliche Zentralität in Deutschland oder in Italien war nun endgültig verspielt ; um so nachhaltiger wirkte die entgegengesetzte Entwicklung in den westeuropäischen Reichen. Dante, der Dichter, der Hölle und Paradies durchschritt, der Theoretiker der Monarchie, hat es wortreich beklagt. Die regionalen Gewalten aber muß- ten sich umorientieren und neu organisieren. Für die meisten begann ein schier endloser, ermüdender und kaum zu über- blickender Kleinkrieg um Erbschaften und Erbtöchter, um Machterweiterung, umstrittene Ansprüche und dringliche Selbstbehauptung. Schnell wechselnde Bündnisse steigerten eher die Unsicherheiten, als daß sie dieselben beseitigten. Die Luxemburger Grafen sahen sich wiederholt in solche Kämpfe verstrickt ; ihr berühmtester Sproß, der König und Kaiser Karl IV., erinnerte in seiner Autobiographie daran, erinnerte beispielsweise, wie er, um seinem Bruder Johann Heinrich – einen Knaben noch – beizustehen, Truppen in der Grafschaft Tirol zusammengezogen hatte und gegen den Grafen von Görz ins Pustertal eingefallen war ; Johann Heinrich hoffte, über die Ehe mit der Erbtochter, der ein paar Jahre älteren, berühmt-berüchtigten Margarete Maultasch, das Land Tirol schon gewonnen zu haben. Drei Wochen lang blieb Karl, so notierte er, das Land „verwüstend, mit den Truppen im Feld, denn der Graf (von Görz) war ein Par- teigänger der Herzöge von Österreich“ und diese paktierten mit dem Todfeind der Luxemburger, dem Kaiser Ludwig dem Bayern ; von Tirol aus rückte Karl gegen den Wittels- bacher, kehrte indessen, als die Kämpfe nachließen, nach Tirol zurück, um noch im Winter desselben Jahres mit sei- nem Vater, dem König Johann von Böhmen, nach Preußen gegen die Litauer zu ziehen, zum Wintersport gleichsam des westlichen Adels (c. 9). Um Tirol schien es gut zu stehen. Doch dann meldeten Bo- ten, daß Gemahlin und Landesadel sich gegen Johann Hein- rich verschworen hätten, die junge Dame sich von dem Lüt- zelburger trennen wolle und seinen ärgsten Widersacher, den gleichnamigen Sohn nämlich des verhaßten Kaisers Ludwig,