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Ursachen dieser Entwicklungsstörung werden verschiedene 
Faktoren (u.a. Mangelernährung, Stoffwechselerkrankungen 
oder Infektionskrankheiten) diskutiert. Die Schmelzanomalien 
entstehen während der Zahnbildung – also in der Kindheit – 
und ihre Auswertung ermöglicht nicht nur Einblicke in den 
Gesundheitsstatus während der Wachstumsphase, sondern 
verweist auch auf das Alter, in dem die entsprechenden Be- 
einträchtigungen auftraten. 
Das Entstehungsalter der hypoplastischen Episoden wur- 
de anhand der Entfernung des Schmelzdefektes von der 
Schmelz-Zement-Grenze bestimmt 20. Entsprechende Verän- 
derungen an mehreren Zähnen eines Individuums wurden 
zusammengefasst, wenn sie während derselben Halbjahres- 
Periode entstanden sind. Zahnschmelzhypoplasie konnte le- 
diglich bei zwei der 26 „Traufkinder“ festgestellt werden. Bei 
dem zwei- bis zweieinhalbjährigen Knaben (821a) entstanden 
die Schmelzdefekte im Alter von ungefähr 6 Monaten. 
Die Bezeichnung LHPC steht für ‚localized enamel hypo- 
plasia of the primary canine’ – ein Schmelzdefekt, der am 
häufigsten in der Phase entsteht, wenn das Kind Objekte in 
den Mund steckt, wobei der Zahnschmelz schon vorher ge- 
schwächt worden war 21. 
Der rund achtjährige Knabe (760a) litt entweder unter einer 
chronischen Erkrankung oder einer komplexen Entwick- 
lungsstörung. In der Altersverteilung der hypoplastischen 
Defekte sind mehrere Krankheitsepisoden erkennbar, die 
sich erstmalig im Alter von 6–12 Monaten im Zahnschmelz 
niederschlugen. Anschließend lassen sich mehrere Episoden 
zwischen zwei und vier Jahren und später noch zwischen 
fünf und fünfeinhalb Jahren beobachten. 
Cribra orbitalia (poröse Veränderungen im Bereich des Au- 
genhöhlendachs) gelten im Allgemeinen als Anzeiger für 
Mangelerkrankungen (v.a. Eisenmangel), die durch Para- 
sitenbefall und/oder ungünstige Ernährungsbedingungen 
hervorgerufen werden 22. Bei den „Traufkindern“ von Gre- 
venmacher kommen derartige Porositäten nur zweimal in 
starken Ausprägungsgraden vor: Bei einem ca. 2-jährigem 
Knaben (821a) deuten mehrere Knochen- und Zahnverände- 
rungen auf eine mögliche Rachitis 
23 
hin, die wiederum als 
Folge einer Vitamin D-Mangelernährung oder Absorptions- 
schwäche angesehen werden, aber auch durch zu geringe 
UV-Licht-Exposition bedingt sein könnte. Letzteres kommt 
nur vor, wenn das betreffende Individuum den größten Teil 
seines Lebens in geschlossenen Räumen verbracht hat. In 
präindustriellen Gesellschaften wären solche Umstände al- 
lerdings ungewöhnlich und wohl nur als Folge einer körper- 
lichen oder geistigen Behinderung zu sehen. Entsprechende 
Anzeichen sind bei diesem Knaben jedoch nicht fassbar. 
Nur bei einem Individuum, dem etwa 8-jährigen Knaben 
(760a), wurde Karies beobachtet. Es handelt sich um Wurzel- 
halskaries in fortgeschrittenem Stadium am zweiten Milch- 
backenzahn unten rechts. 
Zahnsteinablagerungen hingegen sind bei vier Individuen, 
das jüngste 2–4 Jahre alt, festzustellen. Dies deutet auf eine 
eher proteinreiche und kohlehydratarme Ernährung hin 
24 
– 
also ein Überwiegen von Milchprodukten und Fleisch gegen- 
über Cerealien. Bei mittelalterlichen Populationen wird dies 
gemeinhin mit einem gehobenen Status und Wohlstand in 
Verbindung gebracht, obwohl ein Überwiegen der Viehhal- 
tung auch ein Regionalphänomen oder Folge demografischer 
Entwicklungen sein konnte (z.B. nach Pestepidemien). 
Insgesamt gibt die vorliegende Serie damit vergleichsweise 
wenige Anzeichen zu erkennen, die auf eine schwierige Er- 
nährungssituation hinweisen würden. Im Gegenteil, es kann 
eher von einer quantitativ und qualitativ guten Subsistenz- 
grundlage ausgegangen werden. 
In drei Fällen können Gefäßeinsprossungen im Schädelin- 
neren, d.h. Symptome einer länger dauernden Meningitis 
(Hirnhautentzündung) diagnostiziert werden. Damit ist 
dieses Phänomen vergleichsweise häufig. Ursache können 
verschleppte Infektionen der oberen Atemwege sein, die zu 
einer Ausbreitung von sekundären Erregern ins Neurocranium 
führten. Dies muss nicht zwangsläufig fatal enden, könnte 
aber durchaus den Tod gerade für kleinere Kinder bedeutet 
haben. Die Eskalation einer an sich banalen Infektion ist 
bei unzureichender medizinischer Versorgung, insbesondere 
fehlender Antibiose, keine Rarität. Auch die Entzündung der 
20 
 D. J. ORtNER, S. MAyS, Dry bone manifestations of rickets in infancy and early 
childhood. International Journal of Osteoarchaeology 8, 1998, 45-55. 
21 
 S. W. HILLSON, Diet and dental disease. World Arch. 11, 1979, 147-162. – 
P. CASELItZ, Caries–Ancient plague of humankind. In: K. W. ALt, F. W. RöSING, 
M. tESCHLER-NICOLA (Hrsg.), Dental Anthropology (Wien 1998) 203-226. 
22 
 S. ULRICH-BOCHSLER, Von traufkindern, unschuldigen Kindern, Schwangeren 
und Wöchnerinnen. Anthropologische Befunde zu Ausgrabungen im Kanton 
Bern. In: J. SCHIBLER, J. SEDLMEIER, H SPyCHER (Hrsg.) Beiträge zur 
Archäozoologie, Archäologie, Anthropologie, Geologie und Paläontologie. 
Festschrift für Hans R. StAMPFLI, 1990, 309-318. 
23 
 vgl. u.a. S. ULRICH-BOCHSLER, E. SCHÄUBLIN, Beobachtungen an Bestat- 
tungen in und um Kirchen im Kanton Bern. Archives suisses d’anthropologie 
générale, Genève, 47, 1983, 65-79. – J. WAHL, Über traufkinder und andere 
Bestattungen. In: Miscellanea Anthropologica, Historica et Archaeologica. 
20 Jahre Historische Anthropologie im Kanton Bern. Jubiläumsschrift für Susi 
ULRICH-BOCHSLER (Bern 1994) 51-53. 
24 
 P. EGGENBERGER, M. RASt COttING, S. ULRICH-BOCHSLER, Wangen an der 
Aare, reformierte Pfarrkirche, ehemaliges Benediktinerpriorat, Schriftenreihe 
der Erziehungsdirektion des Kantons Bern (Bern 1991) 79 ff.