54 Eine Bronzestatuette der Göttin Venus aus Schandel Jean Krier Der bereits recht ansehnliche Bestand an figürlichen Klein- bronzen aus der römischen Ansiedlung zwischen Schandel und Vichten („Kräizmier“) 1 konnte am 26. Dezember 2005 durch einen weiteren, überaus interessanten Neufund be- reichert werden. Bei einem seiner regelmäßigen Prospektionsgänge auf dem Areal des mutmaßlichen römischen Vicus an der antiken Straßenverbindung von Arlon („Orolaunum“) nach Bitburg („Beda“) fand Romain Jacoby am späten Vormittag des zweiten Weihnachtsfeiertages 2005 auf der Katasterparzelle 696/793 (Besitzer : P. Eischen, Schandel) mit seinem Metall- detektor eine kleine Bronzestatuette. Pflichtbewusst meldete Herr Jacoby seine Entdeckung nicht nur dem Besitzer des Feldes, sondern wenige Tage später auch dem zuständigen Nationalen Museum für Geschichte und Kunst. Dank der Zuvorkommenheit von Finder und Grundstückseigentümer konnte das Museum den Neufund am 23. März 2006 für die öffentlichen Sammlungen des Landes erwerben (MNHA Inv. 2006-023). Nach ihrer fachgerechten Restaurierung in den spezialisierten Werkstätten des Museums in Bartringen, ist die Statuette seit Sommer 2006 in der gallo-römischen Ab- teilung (Niveau -1) des Nationalmuseums am Fischmarkt in Luxemburg-Stadt ausgestellt. Bei der noch 7,5 cm hohen, zweifellos antiken Statuette (Abb. 1) handelt es sich um einen Vollguss, d.h. das Stück wurde vom Künstler in einer vorgefertigten Hohlform aus- gegossen. Nach dem Erkalten des Bronzegusses wurde die Figur dann in der Produktionswerkstatt noch manuell nach- bearbeitet. Bei der Entdeckung fehlten an der sehr sorgfältig durchmodellierten Statuette bereits die linke Hand sowie die beiden Unterschenkel mit den Füßen. Wie die erhaltenen Reste zeigen, muss das Stück einst eine sehr schön glänzende, schwarz-grüne Patina aufgewiesen haben. Bei der Auffin- dung wies die Oberfläche allerdings stellenweise sehr starke Korrosionsspuren auf, die möglicherweise in jüngerer Zeit, im Boden, durch die Einwirkung von im Dünger enthaltenen Salzen entstanden sind. Bei der Statuette handelt es sich um eine überaus grazile Ausformung der römischen Göttin Venus 2, der griechischen Aphrodite, die hier vollkommen nackt dargestellt ist. Der frontal ausgerichtete, hochgewachsene Körper mit den wenig ausgeprägten weiblichen Formen vermittelt den Eindruck ei- ner eher jugendlichen Darstellung der Göttin der Liebe, der Schönheit und der Anmut. Während der Kopf zum erho- benen rechten Arm hin leicht geneigt ist, bilden der hohe Hals und der schmale, langgezogene Oberkörper eine geradlinige senkrechte Achse. Ab dem Bauchnabel schwingt die rechte Hüfte stark zur Seite hin aus. Trotz der heute fehlenden un- teren Extremitäten ist anzunehmen, dass das rechte Bein als Standbein und das linke als Spielbein ausgeführt waren. Der rechte Arm ist seitlich in einem geschwungenen Bogen zum Hinterkopf hin erhoben, der linke leicht vom Oberkörper ab- gesetzt und der Unterarm zum Oberarm hin angewinkelt. Die Göttin trägt eine so genannte Melonenfrisur 3. Die ver- mutlich schulterlangen Haare sind in dreizehn (vierzehn ?) regelmäßigen, locker gedrehten, welligen Flechten zum Scheitelpunkt des Kopfes geführt, wo die Enden der einzel- nen Locken zu einem Knoten zusammengeflochten waren. Die Dargestellte scheint dabei zu sein, diesen Knoten mit der rechten Hand zu lösen. Der leicht nach rechts geneigte Kopf mit den nach links unten gerichteten Augen deutet unzwei- felhaft darauf hin, dass die Göttin ursprünglich in der erho- benen Linken einen Handspiegel hielt, in dem sie sich be- trachtete. Die Melonenfrisur, die sich seit der hellenistischen Zeit als Haartracht bei Mädchen und jungen Frauen (auch bei Göttinnen und anderen mythischen Gestalten) findet, erfreute sich von der antoninischen Zeit bis ins frühe 3. Jahr- hundert hinein großer Beliebtheit im römischen Reich, u.a. bei den weiblichen Mitgliedern der kaiserlichen Familie. Für die Statuette aus Schandel kommt daher auch am ehesten eine Datierung etwa in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus in Frage. 1 Vgl. J. KRIER, Coq en bronze de Schandel, Musée Info n° 17, Décembre 2004, 45. 2 E. SIMON, Die Götter der Römer, München 1990, 213-228 (Venus). 3 D. ZIEGLER, Frauenfrisuren der römischen Antike – Abbild und Realität, Berlin 2000, 45-58, 129-138, taf. 1-2, 6-10.