handelten um die Erlaubnis fragt, ihr Konterfei mit voller Namensnennung ôffentlich auszustel- len, so erhält man keine einzige Absage. (Manuel Gasser, Katalog St. Gallen 1958) 1967 «Varlins Geschöpfe kommen mir wie Resultate der Menschheitsgeschichte vor, der wir die ‚Sün- digkeit‘ nicht gut absprechen können, auch wenn diese ein theologischer Begriff ist; und dass wir Varlins Geschöpfe trotzdem lieben, liegt daran, dass auch sie mehr als nur Menschen sind. Mag er Dirnen, Schriftsteller, Vaganten oder andere ehrliche Menschen malen, nie sind sie Unter- menschen, sondern Geschöpfe. Geschöpfe eines Malers, der die Menschen liebt.» (F. Dürrenmatt, Katalog KH Basel 1967) 1958 «Ich liebe seine Bilder, weil ich darauf anspringe jedesmal. Warum? Das weiss ich nicht, und es genügt mir, dass ich anspringe —. Die Bank von England, das Porträt seiner Mutter, das man nicht mehr vergisst, und die vogelhaften Weiss- Schwarz-Kellner, Palmen-Ode in Locarno, eine Metzgerei, Kasernen, Hospitale, ein Gendarm in Birmingham, das ist’s, was ich unter Poesie ver- stehe, die frappante Geste, die das Banale über- windet, ohne es zu fliehen. Aber das soll keine Theorie sein, kein Postulat, keine Ideologie! Herr- lich ist Varlin, weil er kein Ideologe ist, sondern ein Temperament, kindlich über allen Witz hin- aus.» (Max Frisch, Katalog St. Gallen 1958) 1969 «Nach längerer Bekanntschaft mit Varlins Atelier- bild komme ich zur Überzeugung, dass seine Porträts deshalb überzeugen, weil sie verzwei- felte Versuche sind, einen unfassbaren Raum (wenn auch nur flüchtigst) zu richten. Mit seinen Porträts hext er Anhaltspunkte in einen beirren- den Raum. In den Porträts kristallisieren des Ma- lers und des Modells Raumnot und Lebensangst für den Augenblick einer magischen Grimasse zu existenziellem Ausschlag. Ohne Figuren, ohne die uns bekannte typische Varlinsche Hexerei würde ihm noch das Vertrauteste (man sieht es am Atelierbild) zum Verhörraum und zur Angst- und Fluchtbahn geraten (zum Horror vacui). Des- halb muss er ihn mit Figuren besetzen. Ohne diese und ohne die — Figuren vertretenden — Dingversammlungen ist sein Raum nicht weit ent- fernt von demjenigen eines Alberto Giacometti, also Anlass zu Meditationen über die verheerende räumliche Schrumpfwirkung, über die Sogkraft des Nichts.» (Paul Nizon, Luzerner Kunstblatt, Márz 1969) 1967 Die abstrakte Malerei flüchtet aus der Zeit, in- dem sie ihr nachhinkt. Sie bleibt einfach zurück. Womit aber die Frage nach dem Wesen einer Malerei, die die Tendenz unserer Zeit wiederholt, noch nicht beantwortet ist. Hier wáre wahrschein- lich auf Picasso hinzuweisen. Er wiederholt die Tendenz der Zeit, indem er eine Welt konstruiert. In den Kunstrichtungen, die das zu leisten ver- mógen, haben wir Varlins echte Gegenspieler zu suchen. (F. Dürrenmatt, Katalog KH Basel 1967) 1975 «Er ist der besessenste Realist, den ich kenne. Realist nicht deswegen, weil auf den Bildern, die er malt, das Dargestellte als Abbildung verstan- den oder missverstanden werden kann. Nein, Varlin ist Realist, indem er das Problem, wie er- fährt man Wirklichkeit, mit allem Mut und mit je- dem Zweifel angeht — einem Zweifel, der bis zur Verzweiflung reicht, und einem Mut, der die Skala von Kleinmut bis Grossmut durchläuft. Er könne nicht ohne Modell arbeiten, hat Varlin immer wieder gestanden. Dabei handelt es sich nicht um das Eingeständnis einer Unfähigkeit, als stehe ihm keine Phantasie zur Verfügung. Wer Einblick in sein Oeuvre hat, der weiss genau so gut wie jener, der den Künstler aus dem Gespräch kennt, wieviele Einfälle in diesem Kopf anzutreffen sind.» (Hugo Loetscher, Katalog Galerie Scheidegger 1975) «... immer saubere Fingernágel und Hosenbügel- falten. Wie sagt doch meine liebe Zwillings- schwester Erna: ,Jetz bisch ganz verspiesseret, meh chasch nümme abecho!'» (Varlin, Schlusssatz seiner Selbstbiographie) «So kann man Varlins Oeuvre als etwas nehmen, bei dem es nicht um dies oder jenes Bild geht, sondern um den Prozess des Malers selbst, um die Erfahrung von Welt, zwischen Ausgeliefert- sein und Behauptung.» (Hugo Loetscher, Katalog Galerie Scheidegger 1975) «Noch ein paar Ratschláge für die Zukunft: nur noch das Nôtigste unter Dach bringen. Arbeite langsam, aber dafür wenig. Wirf deine Freunde hinaus; sie nehmen nur Zeit weg, die Vollge- stopften, Kraftstrotzenden, Lauten, Immer-Zufrie- denen, darum so Langweiligen. Verschone dich vor ihren süffisanten Sprüchen. Behalte die Mat- ten-Müden, Moros-Morbiden-Makaber-Monstruó- sen, die immer Meckernd-Muffen, kurz die Mie- sen: sie erfrischen und verjüngen, bewahren dich vor Minderwertigkeitskomplexen. Eignen sich auch besonders zum Malen. Und nun hereinspa- ziert, meine Herrschaften, ins 8. Jahrzehnt, hier ist Nora, das schwangere Nilpferd.» (Varlin, «Du», Márz 1970) fi (Zusammengestellt von Heiny Widmer)