Meine Dienstkameraden auf Posten 29 Letten, 1944 Ol auf Holz, 100x 70 cm zu gewährleisten. Es gibt Porträts von ihm, bei denen die frappierende Ähnlichkeit weniger durch die Zeich- nung und Modellierung der Gesichts- und Körperfor- men, als durch einen scheinbar nebensächlichen kolo- ristischen Einzelzug hervorgerufen wird. Durch den genau getroffenen Ton der Haar- oder der Hautfarbe zum Beispiel. Das gleiche gilt von seinen Stadtlandschaften, Gebäude-Veduten und Interieurs. Immer geht der Rea- litäts-Schock, den der Beschauer empfindet, von einem genau beobachteten und wiedergegebenen Farbwert aus. Vom rahmigen Weiss einer Marmortischplatte, vom Giftgrün einer Portierschürze, vom verrauchten Olfarbanstrich eines Cafes, vom abgetretenen Plüsch eines roten Läufers. Diese bis ins letzte verfeinerte Kunst der Farb- treue spielt in Varlins Bildern die Rolle des mot juste im Gedicht. Was Wunder, dass er keinen Pinselstrich tun konnte, ohne die Realität vor Augen zu haben; denn auch das phänomenalste optische Gedächtnis reichte nicht aus, um so feine Abstufungen der Farb- werte zu speichern. Kommen wir noch einmal auf den «Zigeuner- jungen» zurück: Er ist nicht nur, was die Farb-, son- dern auch, was die Formgebung betrifft, ein Meister- werk. Der Oberkörper des Modells ist durch einen viel zu weiten, durch eine Sicherheitsnadel zusammen- gehaltenen Kittel so vermummt, dass von der Form des darunterliegenden Torsos überhaupt nichts mehr zu erkennen ist. Das Merkwürdige und Ausserordent- liche des Bildes besteht nun aber gerade darin, dass man den Körper des Jungen zwar nicht sieht, aber spürt. Nicht nur seinen Umriss und sein Volumen, son- dern auch die ihm innewohnende Spannung. Man hat den Eindruck, als werde der Bursche im nächsten Au- genblick von dem Mäuerchen, auf dem er sitzt, auf- springen. DES MALERS WELT Sechs Bildgattungen sind im Gesamtwerk Var- lins vertreten: das Stilleben, die Landschaft, Ansichten von Gebäuden, Innenräume, das Porträt und das Grup- penbild. Sie sind in allen Schaffensperioden des Ma- lers präsent, wenn auch in ganz verschiedener Dichte. Sodann treten Mischformen auf, die die Zuweisung eines Bildes zu einer bestimmten Gruppe erschweren. Was ist bei einer Strassenansicht wichtiger: die Archi- tektur oder die diese belebenden Menschen? Hat man es bei einer vielfigurigen Darstellung mit einer Mehr- zahl von Porträts oder mit einem Gruppenbild zu tun? Sind die über das ganze Oeuvre zerstreuten Konter- feie von Möbelstücken als Stilleben oder als Interieurs einzustufen? Zur Hauptsache aber kann man sich an die sechs Gattungen halten; sie seien hier im einzel- nen betrachtet. DAS STILLEBEN Wie alle passionierten Menschendarsteller hatte Varlin wenig Interesse für das Stilleben. In seinem Frühwerk scheint es ganz zu fehlen: später treten dann "WE PR LETIEK Z auf Porträts und auf Interieurs Elemente auf, die als Stilleben angesprochen werden können, aber stets als quantite negligeable behandelt sind. Eine tragende Rolle spielt die Gattung sodann auf dem Monumental- bild «Die Völlerei», das Varlin für die Expo 64 in Lau- sanne gemalt hat. Auf dieses Werk hin angesprochen äusserte sich der Maler Peter Killer gegenüber: «Am besten gefällt mir der Fisch in der Mitte.» Ob es sich dabei um ein ernstzunehmendes Bekenntnis zum Stil- leben oder bloss um eine der üblichen Boutaden ge- handelt habe, sei dahingestellt. Nach dieser anfänglichen Zurückhaltung muss es überraschen, dass Varlin 1964 mit den Riesenbil- dern Atelier I, II und Ill Stilleben im Raum schuf, die es an barocker Überfülle und malerischem Brio mit den üppigsten flámischen und neapolitanischen Blu- men-, Früchte-, Wildbret- und Fischstücken des 17. und 18. Jahrhunderts aufnehmen kónnen. Im letzten Schaffensjahrzehnt widmet Varlin dann den Gegenständen seiner nächsten Umgebung mehr und mehr Aufmerksamkeit und malt eine lange Reihe von grossformatigen Bildern, die Möbelstücke und Dinge des täglichen Gebrauchs darstellen. Da auf ihnen der das Objekt umgebende Raum meist ganz summarisch behandelt ist, müssen sie nicht als Inte- rieurs, sondern als Stilleben bezeichnet werden. Das ist eine Tendenz, die sich früh, schon in den vierziger Jahren mit Werken wie «Mein Ofen», «Mein Schrank», «Regenschirm», «Mein Bett» ankün- digt. Später, zur Zeit der grossen Porträts und Grup- penbilder, treten diese Inhalte dann in den Hinter- grund, um gegen das Ende mit Bildern wie «Der Kof- fer», «Mein Polstersessel», vor allem aber den Darstel- lungen zerwühlter Betten einen vordersten Rang in Varlins Schaffen einzunehmen. Mit Recht hat man dann auch eines der gewaltigen Bettbilder auf den Katalog- umschlag der letzten, zu seinen Lebzeiten veranstalte- ten Ausstellung — der Mailänder vom März/April 1976 — gesetzt. LANDSCHAFTEN, STADTLANDSCHAFTEN Varlin war ein Mensch, der den weitaus grössten Teil seines Lebens in grossen Städten zugebracht hat: Zürich, Paris, Venedig, Neapel, New York. Auch wenn