Urhebers und so gibt sie Zeugnis zugleich von der geistigen Fähigkeit des Menschen und dem geistigen Wesen der Welt wie von Gott. Wenn sie das tut und wenn Manessier es vollbringt, dann darum, weil diese Malerei und weil Manessier Liebe ist. Liebe, das bedeutet Anteilnahme, aber auch Forderung, Angst, und gar Gewalt. So erklärt es sich, daß Manessier Anhänger unserer Zeitgenössischkeit ist, des brutalen Dynamismus dieser Zeit, der leidenschaftlich den Weg auch dicht am Abgrund sucht. Ein ganzer Teil unseres Lebens findet sein Echo in einem Teil seines Werkes. Aber dieses Anhängen ist nicht ohne Besorgnis, sogar nicht ohne Unwille: beispielsweise diese Kriege, die in Lustren unaufhörlich unsere arme Menschheit verwüsten, sie sehen ihn als den gleichen Trauernden und Revoltierenden, die Israels Propheten angesichts der Kriege ihrer Zeit gewesen sind. Hüten wir uns davor, gegenüber dem Klagelied taub zu sein, das aus dem Frieden seines Werkes klingt. Ist es auch weniger ein Furioso als jenes andere, von dem das Werk von Rouault erbebt, so ergreift es uns darum nicht weniger. Es ist die Klage einer gequálten Seele, die nicht auf das Bose hin resignicren kann, weil sie ja doch gerade Liebe ist und die Liebe stets vom Bósen verwundet oder geleugnet wird. Liebe. Manessier malt aus Liebe, die auch die technische Seite seiner Kunst einschlieBt. Die Liebe zu dem, was an der Kunst Handwerk ist, gehört in unseren Tagen nicht mehr zum guten Ton. Auch auf dieser Domäne weiß unsere Zeit, die so viel von Liebe spricht, nicht mehr, was lieben heißt. Im Gegensatz — glücklicherweise — zu so vielen unserer Zeitgenossen liebt Manessier die Farben und die Formen, die Malmaterie und das zärtliche Mann gegen Mann des Malers mit seinem Werke. Seine Leinwände sind mit einer verliebten Sorgfalt gemalt; ihr Korn ist gehegt, der Farbbrei dicht. Das zeugt von einer weiteren Liebe — auch einer, die der Hast unserer frenetischen Zeit fremd ist — der bescheidenen Liebe zur Zeitdauer. „Es bedarf der Weisheit, um die Zeit mitspielen zu lassen. Ich habe es nicht eilig*, so sagte er einmal. Das war zu wenig gesagt, denn bei seiner Unterwerfung unter eine Zeit, von der er weiß, daß der Mensch sie als eine der Grundgegebenheiten seiner Existenz hinnehmen muß, handelt es sich sehr wohl um etwas anderes als die Haltung eines Weisen, der vor dem Unvermeidlichen resigniert: hier geht es um die Dankbarkeit, um die Inbrunst, mit der er das Geschenk annimmt; denn er weiß, daß auch diese Gegebenheit geschenkt ist. Liebe aus seiner Stellung als Handwerker, Liebe aus dem Gebrauch, den er von der Dauer macht. Liebe aber auch noch ist dieses Oeuvre durch die Leidenschaft zur EntáuBerung, zur Askese, zur Demütigung und zur Vollkommenheit. Nichts darin, was nicht nótig ware. Kein einziges Bravourstück. Weder Gefálligkeit noch Leichtigkeit. Mit seiner Abscheu vor Effekten steht das Oeuvre in jener Tradition, die vor allem anderen Authentizitát franzósischer Malerei besitzt. Die Selbstkontrolle spricht hier weniger von einem ehrgeizigen Bedürfnis, über sich selbst zu herrschen, als von der inneren Notwendigkeit spiritueller Disziplin. Sinnlichkeit, Sensibilität, Imagination, die bei ihm nicht im geringsten fehlen, dienen hier weniger der Intelligenz und dem Willen als dem Bedürfnis — wie es jeder Liebe innewohnt —, sich dem Verlangen nach dem Absoluten unterzuordnen, dem einzigen, was ihn unterwerfen kann. So ist die Askese, welche diese Malerei beseelt, ganz das Gegenteil von stoischer Gymnastik. Sie bleibt frei von jeder Anstrengung. Sie ist die natürliche Folge, die Entfaltung, ja das Aufblühen einer intimen Sehnsucht, die ihre Wahrheit, ihr Vergnügen und ihr Lächeln nur in der MáBigkeit finden kann; sie ist die stumme Dichte einer Malerei, die im Innen bleibt, die Vertiefung in der Glut ihrer Erfahrungen und ihrer GewiBheiten. Nichts Ostentatives ist darin, kein Ehrgeiz, beispielhaft zu sein, und kein provozierender Trotz. Es fehlt das Geschraubte, es fehlt der Stolz. Alles bleibt vollkommen natürlich. Das Werk und die Bescheidenheit sind eins. Diese Kunst ist so, weil sie nicht anders sein kann. Der Drang zur Vollkommenheit verpflichtet ihren Urheber, das zu sein, was er ist, und es auf die einfachste Weise zu sein; mit dieser Wohligkeit, diesem einen Ton, diesem Akzent geheimer Notwendigkeit, die zu den groBen klassischen Schópfungen gehóren und sie ausmachen. Aber sind das nicht auch und gerade die Forderungen der Liebe, die unbezwingbar die Harmonie. die Einheit und die Fülle erstrebt? Und auch erstrebt, über sich hinauszugehen. ,,Die Liebe will immer höher hinaus‘, heißt es bei dem Verfasser der Imitatio. So erklärt sich, daB es bei Manessier im Gegensatz zu vielen — zu allzu vielen — unserer Zeitgenossen, die ihren Stil, nachdem sie ihn gefunden haben, bis zum ÜberdruB wiederholen und aus einer Wahrheit ein Verfahren machen, niemals eine Formel gibt, in die er sich verkapselt. Nicht so, daB er wie ein Picasso alles unaufhórlich in Frage stellte. Sein Gesetz lautet im Gegenteil, stets auf seinem Wege vorwárts zu schreiten — auch wenn es mit einem einzigen Schritt geschehen muB — und alle Erfahrungen dabei zu verwerten. So kommt er dem ersehnten Absoluten náher. So daB dieser Mann aus dem Norden, gewöhnt an seine klaren feuchten Farben, aus der Provence und aus Spanien die ,,unermeflichen, einfachen, lebendigen, von Licht und Raum erfüllten Linien‘ macht und in der Nacht, die „in der Gegend von Valence Staunen erregt“, alles „farbig und leuchtend“ sieht. Die Palette wird reicher, die Zeichnung meisterhaft. In einem einzigen Schwung hat er sich zur höchsten Vollendung seiner Kunst erhoben und sich damit zugleich noch fähiger gemacht, seinen ewigen Vorsatz zu verwirklichen, den er folgendermaßen in Worte gefaßt hat: „Ich will zugleich die Frenesie meines Jahrhunderts ausdrücken wie das Licht der Hoffnung, von dem ich glaube, daß ich einer seiner Trager bin.“ Damit schenkt uns seine Liebe das Schönste, für das wir nie genug Dank wissen werden. Bernard Dorival Deutsch von C. Schweicher